Samstag, 14. Dezember 2013
Krankenhausgedanken
Ich versuche mir immer wieder einzureden, dass ich vor nichts Angst habe. Körperliche Schmerzen sind nichts, was ich angenehm finde, aber ich habe sie so oft erfahren, dass sie mir keine Angst machen. So ist es mit den meisten Dingen. Ich habe sie alle in einer oder anderer Form erfahren. Sie waren teilweise niederschmetternd, zerstörend, zersetzend, aber ich habe sie überstanden, es machte mich härter. Vielleicht stumpfte es mich auch ab. Und jetzt gibt es nichts, wovor ich noch Angst haben müsste. Zumindest rede ich mir das ein.

Denn es gibt eine Sache, die mir panische Angst macht. Seit Jahren ist diese Angst wie ein Stachel in meinem Kopf. Die meiste Zeit schaffe ich es, ihn klein zu halten, wie einen Splitter. Doch dann gibt es Momente in denen er groß und größer wird, bis er schließlich wie ein Speer ist, der sich durch meinen ganzen Körper bohrt. Die Angst vor dem Tod.

Ich habe nie an höhere Mächte geglaubt. Ich habe mir die Religionen angeschaut, Philosophien studiert, um zu lernen, meine Angst zu bezwingen. Vergeblich. Die Vorstellung einer Ewigkeit, ohne das ich darin existiere verursacht Panik in mir, schnürt mir die Luft ab und lässt mich unruhig und nervös aufschrecken, Tränen im Auge und Risse im Herzen. Dabei habe ich den Tod schon zwei Mal besiegt. Oder eher verschoben. Der Gedanke, dass alles, was ich tue, ein Geschenk, ein möglicherweise unglaublicher Zufall oder einfach Glück war, lastet auf mir. Ich will gerade deshalb mein Leben auskosten, weil es schon vorbei hätte sein können. Aber ich schaffe nicht einmal das.

Bei all den Dingen, die mir widerfahren sind, müsste ich vielleicht verzweifelt sein, lebensmüde, aber das Gegenteil ist der Fall. Die Konfrontation mit dem Tod hat nur dazu geführt, dass ich mich noch mehr ans Leben klammere. Vielleicht ist die Erkenntnis nach all der Philosophie eine einfache. Camus sagte, dass Leben sei absurd und ohne höheren Sinn, deshalb wäre Selbstmord der logische Ausweg. Aber da das der Sieg des Absurden wäre bleibt nur eins: weitermachen!
Ich mache schon sehr lange weiter, und es wird immer absurder.

Es gibt diesen abgedroschenen Spruch, dass das Leben die besten Geschichten schreibt. Das ist Blödsinn. Das Leben schreibt nicht die besten, es schreibt alle Geschichten. Es sortiert nicht nach Größe, Bedeutung, Wirkung, Sinn oder Logik. Es schreibt einfach. Jeden Moment, eine riesige Geschichte, mit Milliarden Hauptdarstellern, nur, dass wir immer nur den Teil sehen, der uns betrifft. Mal sind wir im Mittelpunkt und mal meilenweit davon entfernt, aber als Teil der Geschichte gehören wir dazu, ohne feste Rolle, als improvisierende Schauspieler werden wir vom Leben getrieben, umhergeschleudert, an fremde Orte, zu fremden Menschen, durch Stürme und Unwegsamkeiten geschickt, immer auf der Suche, nach Zielen, die uns das Leben ganz nebenbei in die Regieanweisungen schreibt, die wir in uns aufnehmen, und ohne es zu bemerken, jagen wir dahin, im Glauben, die volle Kontrolle über unser Schicksal zu haben, während das Leben sich schon ganz andere Wendungen für uns ausdenkt.

Vielleicht ist der Tod deshalb etwas, dass mir so große Angst macht. Auch wenn wir durchs Leben getrieben werden, ohne es so wahrzunehmen, die Kontrolle über das Ende liegt nicht bei uns. Wir sind Spielbälle, die umhergeschleudert werden und irgendwann einfach verbraucht sind. Und dieser Gedanke ist hart. Der härteste. Jedenfalls dachte ich das immer.

Es gab nie etwas, das ich als schlimmer empfunden habe, als diese Panik, im Gedanken an die Ewigkeit. Doch ich irrte mich, ich habe es gespürt, vor kurzer Zeit. Diese Angst, mit all ihren Folgen, ihrer Unruhe, dem Wunsch, den Gedanken weit in sich zu begraben, im Wissen, ihn nie ganz loszuwerden. Doch es war nicht der Tod, der mich in Panik versetzte, es war etwas anderes. Und es lässt mich glauben, dass vielleicht alles absurd, aber nicht sinnlos ist. Dass es etwas gibt, für das es sich lohnt, zu kämpfen. Ich glaube das Leben hat eine Menge Spaß daran, uns unsere Fehler aufzuzeigen, uns damit zu verfolgen, um uns zu testen, ob wir sie erkennen, und ob wir reagieren. Nehmen wir sie hin, verzweifeln wir, geben wir auf, dann wäre das wohl der Sieg des Absurden, dass sich uns in den Weg stellt um uns zu verhöhnen, uns immer wieder an die schlimmsten Augenblicke zurückbringt. Aber sollte das Stimmen, gibt es nur eine Lösung. Dem Absurden den Kampf anzusagen, sich ihm zu stellen, um es zu überwinden. Um weiterzumachen, um die Angst zu besiegen.