Donnerstag, 12. Juli 2018
Nachschub
psmerga, 22:20h
Wir waren 40, vielleicht 45 Männer in der Turnhalle. Sie hatten uns aus den umliegenden Dörfern eingesammelt und hierher verfrachtet, nun bewachten uns die Soldaten mit ihren Maschinenpistolen. Die Soldaten, die uns doch eigentlich beschützen sollten. Aber was gab es eigentlich noch zu beschützen.
Ich sah mich um, erkannte ein paar Gesichter. Herbert war da, der Säufer aus dem Nachbardorf. Er war schon fast 60 und zitterte ziemlich. Wahrscheinlich hatte er ein paar Stunden nichts getrunken und die Entzugserscheinungen kamen zum Vorschein. Sogar Tim saß hier in der Halle, obwohl er erst 15 Jahre alt war. Er weinte die ganze Zeit leise vor sich hin, wahrscheinlich ahnte er, was ihm bevorstehen würde.
Aber auch unter den Soldaten war ein bekanntes Gesicht. Ich erkannte Joseph, mit dem ich zusammen aufgewachsen war. Seine ältere Schwester war vor 2 Jahren zum Studieren in die Stadt gezogen, kurz bevor der Krieg ausbrach, bevor die Städte bombardiert wurden. Als er die Nachricht von ihrem Tod erhielt meldete er sich freiwillig.
Heute war er mit seiner Einheit hier, um die zu holen, die nicht freiwillig kämpfen wollten. So ist das eben, im Krieg. Es brauch ständig Nachschub. An Waffen. Munition. Und natürlich auch Soldaten. Wir sollten an die Front geschickt werden, egal, ob wir dazu fähig waren oder nicht.
Ich wurde von einem der Wachleute abgeholt und in einen extra Raum gebracht. Ein Offizier ging hinter einem kleinen Schreibtisch auf und ab. Er zog das linke Bein. Wahrscheinlich seine Freifahrtskarte weg vom Kampfgeschehen. In seiner Hand hielt er eine Akte, in der ich flüchtig ein Bild von mir erkannte.
„Sie haben nicht gedient? Aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert… Das spielt heute keine Rolle mehr. Willkommen bei der Truppe. Sie werden lernen eine Waffe zu benutzen und…“
„Nein“ unterbrach ich ihn. Das erste Mal sah er mich an, unsere Blicke trafen sich. Er schien nicht überrascht, eher erbost zu sein.
„Haben Sie gerade „nein“ gesagt? Ich denke, ich habe mich verhört. Wir machen besser weiter. Also…“
„Sie haben mich sehr gut verstanden. Ich sagte nein!“
Ich zeigte ihm meinen linken Unterarm.
„Ich lebe nur noch, weil unzählige Menschen dies möglich gemacht haben. Ärzte, Pfleger, meine Familie, Freunde, Menschen, die Blut gespendet haben, denen ich nicht einmal danke sagen kann. Ich lag im Sterben, an ein Krankenhausbett gefesselt, und obwohl die Chancen schlecht standen habe ich überlebt, weil andere nicht aufgegeben haben, weil ihnen mein Leben wichtig war. Wie können sie von mir verlangen, ein anderes Leben auszulöschen, wo mein eigenes doch nur ein Geschenk ist? Ich sage nein. Ich werde kein Soldat. Niemals.“
Der Offizier verzog nur kurz sein Gesicht und blickte mir tief in die Augen.
„Sie wissen, welche Konsequenzen das für Sie hat?“
Ich nickte.
„Sie können gehen.“
Ich drehte mich um und ging langsam, aber aufrecht auf die Tür zu, während ich hörte, wie der Offizier seine Pistole aus dem Halfter zog. Ich ging weiter, schloss die Augen, lächelte, und atmete ein letztes Mal tief ein…
Ich sah mich um, erkannte ein paar Gesichter. Herbert war da, der Säufer aus dem Nachbardorf. Er war schon fast 60 und zitterte ziemlich. Wahrscheinlich hatte er ein paar Stunden nichts getrunken und die Entzugserscheinungen kamen zum Vorschein. Sogar Tim saß hier in der Halle, obwohl er erst 15 Jahre alt war. Er weinte die ganze Zeit leise vor sich hin, wahrscheinlich ahnte er, was ihm bevorstehen würde.
Aber auch unter den Soldaten war ein bekanntes Gesicht. Ich erkannte Joseph, mit dem ich zusammen aufgewachsen war. Seine ältere Schwester war vor 2 Jahren zum Studieren in die Stadt gezogen, kurz bevor der Krieg ausbrach, bevor die Städte bombardiert wurden. Als er die Nachricht von ihrem Tod erhielt meldete er sich freiwillig.
Heute war er mit seiner Einheit hier, um die zu holen, die nicht freiwillig kämpfen wollten. So ist das eben, im Krieg. Es brauch ständig Nachschub. An Waffen. Munition. Und natürlich auch Soldaten. Wir sollten an die Front geschickt werden, egal, ob wir dazu fähig waren oder nicht.
Ich wurde von einem der Wachleute abgeholt und in einen extra Raum gebracht. Ein Offizier ging hinter einem kleinen Schreibtisch auf und ab. Er zog das linke Bein. Wahrscheinlich seine Freifahrtskarte weg vom Kampfgeschehen. In seiner Hand hielt er eine Akte, in der ich flüchtig ein Bild von mir erkannte.
„Sie haben nicht gedient? Aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert… Das spielt heute keine Rolle mehr. Willkommen bei der Truppe. Sie werden lernen eine Waffe zu benutzen und…“
„Nein“ unterbrach ich ihn. Das erste Mal sah er mich an, unsere Blicke trafen sich. Er schien nicht überrascht, eher erbost zu sein.
„Haben Sie gerade „nein“ gesagt? Ich denke, ich habe mich verhört. Wir machen besser weiter. Also…“
„Sie haben mich sehr gut verstanden. Ich sagte nein!“
Ich zeigte ihm meinen linken Unterarm.
„Ich lebe nur noch, weil unzählige Menschen dies möglich gemacht haben. Ärzte, Pfleger, meine Familie, Freunde, Menschen, die Blut gespendet haben, denen ich nicht einmal danke sagen kann. Ich lag im Sterben, an ein Krankenhausbett gefesselt, und obwohl die Chancen schlecht standen habe ich überlebt, weil andere nicht aufgegeben haben, weil ihnen mein Leben wichtig war. Wie können sie von mir verlangen, ein anderes Leben auszulöschen, wo mein eigenes doch nur ein Geschenk ist? Ich sage nein. Ich werde kein Soldat. Niemals.“
Der Offizier verzog nur kurz sein Gesicht und blickte mir tief in die Augen.
„Sie wissen, welche Konsequenzen das für Sie hat?“
Ich nickte.
„Sie können gehen.“
Ich drehte mich um und ging langsam, aber aufrecht auf die Tür zu, während ich hörte, wie der Offizier seine Pistole aus dem Halfter zog. Ich ging weiter, schloss die Augen, lächelte, und atmete ein letztes Mal tief ein…
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Pralinen
psmerga, 22:17h
„Das Leben ist wie ein Schachtel Pralinen…
Man weiß nie, was man kriegt“.
Vor kurzem war der Film, durch den dieses Zitat seine Berühmtheit erlangt hat wieder im Fernsehen zu bestaunen: Forrest Gump. Wahrscheinlich hat jeder diesen Satz schon einmal gehört, und jeder würde dem wohl zustimmen. Aber hat sich schon einmal jemand gefragt, was in diesem sprachlichen Bild eigentlich die Pralinen sind, die da so in „unserer“ Schachtel sind?
Wenn das Leben wirklich eine Schachtel Pralinen sein soll, dann frage ich mich, was genau sind diese Pralinen?
Es könnten die Dinge sein, die wir erleben, die wir tun. Ereignisse, so zuckersüß, unheimlich erfüllend, manchmal voller Alkohol und anderer sündiger Zutaten. So, wie wir uns an Schnapspralinen berauschen, uns mit Schokolade und Nougat und all den edlen Zutaten vollstopfen gehen wir durch unser Leben. Oft lassen wir uns treiben und merken gar nicht, dass wir doch schon satt sind, und wollen immer noch etwas mehr. Mehr Action, mehr Aufmerksamkeit, mehr Nähe, mehr Sex, mehr Geld…
Bis wir die eine Praline erwischen, die am besten gar nicht in der Schachtel sein sollte. Vielleicht bitter, vielleicht zu hart, wir beißen noch genüsslich hinein und mit etwas Pech leidet sogar der Zahn darunter. So wie bei der Pralinenschachtel ist es doch im Leben, oder? Jeder kennt solche Ereignisse, jeder hat schon einmal danebengegriffen, ohne zu wissen, was er bekommt. Selten folgen diese Fehlgriffe auf eine bewusste Entscheidung. Das Leben passiert einfach.
Vielleicht ist es aber auch ganz anders. Was, wenn nicht unsere Taten, nicht die Dinge, die wir erleben die Pralinen sind. Was wäre, wenn es die Menschen sind, denen wir begegnen. Wir haben alle unterschiedliche Geschmäcker. Jeder mag andere Pralinen. Nicht jeder findet Nougat köstlich, Mandeln edel oder Schnapspralinen berauschend. Selbst Toffifee mag, so würde ich vermuten, entgegen des Werbeslogans nicht jeder. Und die Assoziationen zur „Wahrscheinlich längsten Praline der Welt“ will ich gar nicht beschwören.
Das gleiche gilt wohl, wenn wir Menschen begegnen. Wir haben alle unsere Filter, unsere Raster und Muster. Wir umgeben uns eher mit Menschen, mit denen uns etwas verbindet, die wir in gewisser Weise einschätzen können, die uns ähnlich sind. Wir selektieren, mit wem wir sprechen, wen wir ansehen, wem wir zuhören und sind dabei oft so schnell und flüchtig mit unserem Urteil, wie beim Blick in die Pralinen Schachtel. Denn ja, wir alle kennen diesen Moment: wir greifen diese eine strahlend schöne Köstlichkeit, ein Meisterstück der Chocolatier Kunst, die Praline, die auf der Hülle der Schachtel im Zentrum ist, perfekt ausgeleuchtet und in Szene gesetzt, beißen genüsslich hinein… Und spucken sie ganz schnell wieder aus.
Das schlimme daran ist nicht, dass es eben nicht der eigene Geschmack ist, der einen veranlasst, diese Praline nicht zu essen. Das wirkliche Problem ist: es ändert unsere Filter. Wir schauen genauer in die Schachtel und greifen eher zu den Schlemmereien, die wir kennen. Im Umgang mit Menschen ist es ähnlich. Schlechte Erfahrungen, Unsicherheiten und Zweifel schränken uns ein. So, wie wir einige Pralinen meiden, meiden wir andere Personen. Manchmal aus Angst, oder weil uns einfach der Mut fehlt, es zu probieren.
Aber wisst ihr: das Leben ist nicht, wie eine Schachtel Pralinen. Ihr könnt zwar einfach in den Supermarkt gehen und eine neue Schachtel kaufen, um endlich mal die anderen Sorten zu probieren. Aber oft entscheiden wir in Sekunden, mit wem wir reden und mit wem nicht, und nur wenn wir viel Glück haben, bekommen wir in unserem Leben eine 2. Chance. Eine Chance mit den Menschen zu sprechen, die wir vielleicht mal übersehen haben, oder bei denen wir zu schüchtern waren, um einen ersten Schritt zu wagen. Vielleicht liegen zwischen diesem ersten Sehen und Urteilen und dem tatsächlichen Überwinden der eigenen Schranken nur Tage oder Wochen. Aber manchmal sind es 8 Jahre. Also ja verdammt, man weiß nicht, was man kriegt, weder bei Pralinen, noch im Leben. Aber genau deshalb ist es so wichtig, offen zu sein, und den Mut zu haben, es einfach zu Probieren.
Wir haben die Wahl, ob wir zugreifen.
Jeden Tag.
Man weiß nie, was man kriegt“.
Vor kurzem war der Film, durch den dieses Zitat seine Berühmtheit erlangt hat wieder im Fernsehen zu bestaunen: Forrest Gump. Wahrscheinlich hat jeder diesen Satz schon einmal gehört, und jeder würde dem wohl zustimmen. Aber hat sich schon einmal jemand gefragt, was in diesem sprachlichen Bild eigentlich die Pralinen sind, die da so in „unserer“ Schachtel sind?
Wenn das Leben wirklich eine Schachtel Pralinen sein soll, dann frage ich mich, was genau sind diese Pralinen?
Es könnten die Dinge sein, die wir erleben, die wir tun. Ereignisse, so zuckersüß, unheimlich erfüllend, manchmal voller Alkohol und anderer sündiger Zutaten. So, wie wir uns an Schnapspralinen berauschen, uns mit Schokolade und Nougat und all den edlen Zutaten vollstopfen gehen wir durch unser Leben. Oft lassen wir uns treiben und merken gar nicht, dass wir doch schon satt sind, und wollen immer noch etwas mehr. Mehr Action, mehr Aufmerksamkeit, mehr Nähe, mehr Sex, mehr Geld…
Bis wir die eine Praline erwischen, die am besten gar nicht in der Schachtel sein sollte. Vielleicht bitter, vielleicht zu hart, wir beißen noch genüsslich hinein und mit etwas Pech leidet sogar der Zahn darunter. So wie bei der Pralinenschachtel ist es doch im Leben, oder? Jeder kennt solche Ereignisse, jeder hat schon einmal danebengegriffen, ohne zu wissen, was er bekommt. Selten folgen diese Fehlgriffe auf eine bewusste Entscheidung. Das Leben passiert einfach.
Vielleicht ist es aber auch ganz anders. Was, wenn nicht unsere Taten, nicht die Dinge, die wir erleben die Pralinen sind. Was wäre, wenn es die Menschen sind, denen wir begegnen. Wir haben alle unterschiedliche Geschmäcker. Jeder mag andere Pralinen. Nicht jeder findet Nougat köstlich, Mandeln edel oder Schnapspralinen berauschend. Selbst Toffifee mag, so würde ich vermuten, entgegen des Werbeslogans nicht jeder. Und die Assoziationen zur „Wahrscheinlich längsten Praline der Welt“ will ich gar nicht beschwören.
Das gleiche gilt wohl, wenn wir Menschen begegnen. Wir haben alle unsere Filter, unsere Raster und Muster. Wir umgeben uns eher mit Menschen, mit denen uns etwas verbindet, die wir in gewisser Weise einschätzen können, die uns ähnlich sind. Wir selektieren, mit wem wir sprechen, wen wir ansehen, wem wir zuhören und sind dabei oft so schnell und flüchtig mit unserem Urteil, wie beim Blick in die Pralinen Schachtel. Denn ja, wir alle kennen diesen Moment: wir greifen diese eine strahlend schöne Köstlichkeit, ein Meisterstück der Chocolatier Kunst, die Praline, die auf der Hülle der Schachtel im Zentrum ist, perfekt ausgeleuchtet und in Szene gesetzt, beißen genüsslich hinein… Und spucken sie ganz schnell wieder aus.
Das schlimme daran ist nicht, dass es eben nicht der eigene Geschmack ist, der einen veranlasst, diese Praline nicht zu essen. Das wirkliche Problem ist: es ändert unsere Filter. Wir schauen genauer in die Schachtel und greifen eher zu den Schlemmereien, die wir kennen. Im Umgang mit Menschen ist es ähnlich. Schlechte Erfahrungen, Unsicherheiten und Zweifel schränken uns ein. So, wie wir einige Pralinen meiden, meiden wir andere Personen. Manchmal aus Angst, oder weil uns einfach der Mut fehlt, es zu probieren.
Aber wisst ihr: das Leben ist nicht, wie eine Schachtel Pralinen. Ihr könnt zwar einfach in den Supermarkt gehen und eine neue Schachtel kaufen, um endlich mal die anderen Sorten zu probieren. Aber oft entscheiden wir in Sekunden, mit wem wir reden und mit wem nicht, und nur wenn wir viel Glück haben, bekommen wir in unserem Leben eine 2. Chance. Eine Chance mit den Menschen zu sprechen, die wir vielleicht mal übersehen haben, oder bei denen wir zu schüchtern waren, um einen ersten Schritt zu wagen. Vielleicht liegen zwischen diesem ersten Sehen und Urteilen und dem tatsächlichen Überwinden der eigenen Schranken nur Tage oder Wochen. Aber manchmal sind es 8 Jahre. Also ja verdammt, man weiß nicht, was man kriegt, weder bei Pralinen, noch im Leben. Aber genau deshalb ist es so wichtig, offen zu sein, und den Mut zu haben, es einfach zu Probieren.
Wir haben die Wahl, ob wir zugreifen.
Jeden Tag.
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Umwegsrhetorik
psmerga, 22:15h
Der nun folgende Text ist ein Auszug aus dem noch nicht erschienenen Ratgeber "Umwegsrhetorik - Mehr Worte, mehr Wucht".
Ziel des Ratgebers ist es, den unzähgligen Momenten des peinlichen Schweigens, der Phrasendrescherei und der Tendenz in Gesprächen kurz zu antworten, um wieder auf das Mobiltelefon zu schauen den Kampf anzusagen.
Nachdem in den vorangegangenen Kapieteln die Grundlagen dieses rhetorischen Trainings vermittelt wurden, widmet sich dieses Kapitel einem ganz besonderen Thema...
Kapitel 7
Liebe
„Liebe ist… zuhören.“
„Liebe ist… Händchen halten.“
„Liebe ist… füreinander da sein.“
Wenn es nach den kleinen Comic-Strips auf der letzten Seite einer großen deutschen Boulevard-Zeitung geht ist Liebe vor allem eines: eine ziemlich leichte Angelegenheit, die mit ein paar einfach zu befolgenden Ratschlägen erklärt und demnach erreicht werden kann. Das dem nicht so ist, wird wohl jeder aus eigener Erfahrung berichten können. Liebe ist zu komplex, um sie auf kurze Botschaften oder Anweisungen zu reduzieren. Die Illusion, die in einer Partnerschaft (oder im Zeitraum davor) auftreten Probleme und Unsicherheiten ließen sich quasi im Handumdrehen, bzw. „händchenhaltend“ lösen, klingt zwar verlockend, ist aber eben genau das: eine Illusion. Es gibt unzählige Situationen, die es erforderlich machen, sich Zeit zu nehmen und Liebe als das zu begreifen, was sie ist: wunderschön, aber eben auch sehr viel Arbeit.
Gerade deswegen kann es hilfreich sein, eben nicht den Weg der kurzen Antwort zu gehen. Ja, durch Umwegs-Rhetorik können nicht nur kritische Situationen umschifft, sondern auch große Momente erzeugt werden. Versetzen wir uns dazu in folgende Situation.
Zwei Menschen, die sich bereits näher kennengelernt haben sind bei einem romantischen Abendessen. Kerzen brennen, der Wein ist perfekt auf das köstliche Menü abgestimmt, man lacht, versteht sich und jeder Außenstehende kann das knistern zwischen den beiden spüren. Ja, aus diesen beiden Menschen kann ein Paar werden. Aber, wie das manchmal so ist, keiner von beiden traut sich die entscheidende Frage zu stellen. Also versucht einer es über einen Umweg und erzählt vom ersten Abend. Diese Nacht im Club, das Treffen der Blicke, das gemeinsame Tanzen, und wie der Abend nach einem Wasserpistolenduell im städtischen Springbrunnen endete. Durchnässt, Arm in Arm, während die Sonne aufging, und sich beide das erste Mal küssten. Wieder lächeln. Und dann die Frage, die alles entscheiden kann.
„Seit diesem Abend frage ich mich… Glaubst du an Liebe, auf den ersten Blick?“
ACHTUNG!
In so einer Situation, nach so einer Vorbereitung wäre eine vorschnelle und zu kurze Antwort nie gut genug. Ein einfaches „Ja“ ist nach so einer Schilderung in jedem Fall zu wenig, egal wie ernst es gemeint sein mag. Von der Variante „Seit diesem Abend: Ja!“ verabschieden wir uns auch schnell, zu viel Kitsch, zu viel Spielraum für Zweifel und Nachfragen. Nutzen Sie das, was Sie in den letzten Kapiteln gelernt haben: Mehr Worte, mehr Wucht. Ein Beispiel für so eine Antwort:
Sie sehen ihrem gegenüber in die Augen, lehnen sich zurück, und breiten folgenden Monolog aus.
„Also, ich denke, wenn wir jemandem das erste Mal begegnen, dann malen wir uns aus, wie diese Person ist, und daraus entsteht ein Bild. Wir nehmen all die Farben, Formen und Techniken, die wir über unser ganzes Leben gesammelt und erlernt haben, und entwerfen dieses Bild, um es in unserer Galeria da oben im Kopf zu platzieren. Dort sind all die Portraits der Menschen, die wir getroffen, die uns geprägt haben, mit denen wir alle schönen und traurigen Momente teilten. Die Portraits der Familie sind in einem gemütlichen Kaminzimmer, die Kollegen in größeren Hallen, Chefs vielleicht in Abstellkammern. Die guten Freunde in bunten Räumen, voller Farbe und Licht und ganz viele Bilder sind in dem Archiv, abgelegt für später, wobei einige wohl immer dort bleiben werden. Und dann gibt es diesen einen Raum, nicht besonders groß, mit nur einer Lichtquelle, inmitten der Galerie, aber nicht zugänglich für andere. Denn dort ist das schönste aller Portraits: das Bild der Person, von der wir denken, dass wir sie lieben. Es ist perfekt, und wir wollen es deshalb beschützen.
Aber ich denke, das bedeutet es, verliebt zu sein: ein wunderschönes Bild von jemandem zu haben, das aber nur unserer eigenen Fantasie entspringt. Um daraus Liebe zu machen bedarf es Mut. Den Mut, dieses Traumbild dem anderen zu zeigen, zu sagen „So sehe ich dich, das bedeutest du mir, und deshalb bist du mir so wichtig.“ Natürlich wird der andere schmunzeln, sich vielleicht geehrt fühlen, aber eben auch die Fehler in diesem „perfekten“ Bild erkennen. Er wird sagen „Hey, das ist ja alles sehr süß, aber hier, da hast du die falsche Farbe, und hier musst du über den Rand malen und überhaupt: hier benutzt du nicht die richtige Technik.“ Das Bild wird sich wandeln, mit jeder Änderung, die man dann aber gemeinsam vornimmt. Und während sich das Bild entwickelt, wird man selbst auch reifen, zusammen, mit dem anderen. Neue Farben und Formen und Techniken kommen zum Einsatz, bis das neue Bild, das gemeinsam entstandene Bild „fertig“ gemalt ist, wohl wissend, dass es immer wieder Änderungen geben wird. Doch das Portrait wird erst jetzt perfekt sein, und wir werden es aus diesem kleinen Raum herausnehmen und mitten in die Galerie hängen und sagen „Hier, das Bild, zeigt uns. Das hier, das ist Liebe.“
Warten Sie kurz, lassen Sie die Worte wirken, atmen Sie tief ein, und schließen Sie mit folgendem Satz:
„Ich weiß nicht, ob es Liebe auf den ersten Blick gibt, aber ich weiß eines sicher: ich möchte mit dir malen.“
Ziel des Ratgebers ist es, den unzähgligen Momenten des peinlichen Schweigens, der Phrasendrescherei und der Tendenz in Gesprächen kurz zu antworten, um wieder auf das Mobiltelefon zu schauen den Kampf anzusagen.
Nachdem in den vorangegangenen Kapieteln die Grundlagen dieses rhetorischen Trainings vermittelt wurden, widmet sich dieses Kapitel einem ganz besonderen Thema...
Kapitel 7
Liebe
„Liebe ist… zuhören.“
„Liebe ist… Händchen halten.“
„Liebe ist… füreinander da sein.“
Wenn es nach den kleinen Comic-Strips auf der letzten Seite einer großen deutschen Boulevard-Zeitung geht ist Liebe vor allem eines: eine ziemlich leichte Angelegenheit, die mit ein paar einfach zu befolgenden Ratschlägen erklärt und demnach erreicht werden kann. Das dem nicht so ist, wird wohl jeder aus eigener Erfahrung berichten können. Liebe ist zu komplex, um sie auf kurze Botschaften oder Anweisungen zu reduzieren. Die Illusion, die in einer Partnerschaft (oder im Zeitraum davor) auftreten Probleme und Unsicherheiten ließen sich quasi im Handumdrehen, bzw. „händchenhaltend“ lösen, klingt zwar verlockend, ist aber eben genau das: eine Illusion. Es gibt unzählige Situationen, die es erforderlich machen, sich Zeit zu nehmen und Liebe als das zu begreifen, was sie ist: wunderschön, aber eben auch sehr viel Arbeit.
Gerade deswegen kann es hilfreich sein, eben nicht den Weg der kurzen Antwort zu gehen. Ja, durch Umwegs-Rhetorik können nicht nur kritische Situationen umschifft, sondern auch große Momente erzeugt werden. Versetzen wir uns dazu in folgende Situation.
Zwei Menschen, die sich bereits näher kennengelernt haben sind bei einem romantischen Abendessen. Kerzen brennen, der Wein ist perfekt auf das köstliche Menü abgestimmt, man lacht, versteht sich und jeder Außenstehende kann das knistern zwischen den beiden spüren. Ja, aus diesen beiden Menschen kann ein Paar werden. Aber, wie das manchmal so ist, keiner von beiden traut sich die entscheidende Frage zu stellen. Also versucht einer es über einen Umweg und erzählt vom ersten Abend. Diese Nacht im Club, das Treffen der Blicke, das gemeinsame Tanzen, und wie der Abend nach einem Wasserpistolenduell im städtischen Springbrunnen endete. Durchnässt, Arm in Arm, während die Sonne aufging, und sich beide das erste Mal küssten. Wieder lächeln. Und dann die Frage, die alles entscheiden kann.
„Seit diesem Abend frage ich mich… Glaubst du an Liebe, auf den ersten Blick?“
ACHTUNG!
In so einer Situation, nach so einer Vorbereitung wäre eine vorschnelle und zu kurze Antwort nie gut genug. Ein einfaches „Ja“ ist nach so einer Schilderung in jedem Fall zu wenig, egal wie ernst es gemeint sein mag. Von der Variante „Seit diesem Abend: Ja!“ verabschieden wir uns auch schnell, zu viel Kitsch, zu viel Spielraum für Zweifel und Nachfragen. Nutzen Sie das, was Sie in den letzten Kapiteln gelernt haben: Mehr Worte, mehr Wucht. Ein Beispiel für so eine Antwort:
Sie sehen ihrem gegenüber in die Augen, lehnen sich zurück, und breiten folgenden Monolog aus.
„Also, ich denke, wenn wir jemandem das erste Mal begegnen, dann malen wir uns aus, wie diese Person ist, und daraus entsteht ein Bild. Wir nehmen all die Farben, Formen und Techniken, die wir über unser ganzes Leben gesammelt und erlernt haben, und entwerfen dieses Bild, um es in unserer Galeria da oben im Kopf zu platzieren. Dort sind all die Portraits der Menschen, die wir getroffen, die uns geprägt haben, mit denen wir alle schönen und traurigen Momente teilten. Die Portraits der Familie sind in einem gemütlichen Kaminzimmer, die Kollegen in größeren Hallen, Chefs vielleicht in Abstellkammern. Die guten Freunde in bunten Räumen, voller Farbe und Licht und ganz viele Bilder sind in dem Archiv, abgelegt für später, wobei einige wohl immer dort bleiben werden. Und dann gibt es diesen einen Raum, nicht besonders groß, mit nur einer Lichtquelle, inmitten der Galerie, aber nicht zugänglich für andere. Denn dort ist das schönste aller Portraits: das Bild der Person, von der wir denken, dass wir sie lieben. Es ist perfekt, und wir wollen es deshalb beschützen.
Aber ich denke, das bedeutet es, verliebt zu sein: ein wunderschönes Bild von jemandem zu haben, das aber nur unserer eigenen Fantasie entspringt. Um daraus Liebe zu machen bedarf es Mut. Den Mut, dieses Traumbild dem anderen zu zeigen, zu sagen „So sehe ich dich, das bedeutest du mir, und deshalb bist du mir so wichtig.“ Natürlich wird der andere schmunzeln, sich vielleicht geehrt fühlen, aber eben auch die Fehler in diesem „perfekten“ Bild erkennen. Er wird sagen „Hey, das ist ja alles sehr süß, aber hier, da hast du die falsche Farbe, und hier musst du über den Rand malen und überhaupt: hier benutzt du nicht die richtige Technik.“ Das Bild wird sich wandeln, mit jeder Änderung, die man dann aber gemeinsam vornimmt. Und während sich das Bild entwickelt, wird man selbst auch reifen, zusammen, mit dem anderen. Neue Farben und Formen und Techniken kommen zum Einsatz, bis das neue Bild, das gemeinsam entstandene Bild „fertig“ gemalt ist, wohl wissend, dass es immer wieder Änderungen geben wird. Doch das Portrait wird erst jetzt perfekt sein, und wir werden es aus diesem kleinen Raum herausnehmen und mitten in die Galerie hängen und sagen „Hier, das Bild, zeigt uns. Das hier, das ist Liebe.“
Warten Sie kurz, lassen Sie die Worte wirken, atmen Sie tief ein, und schließen Sie mit folgendem Satz:
„Ich weiß nicht, ob es Liebe auf den ersten Blick gibt, aber ich weiß eines sicher: ich möchte mit dir malen.“
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