Montag, 25. März 2013
Kleine Alltagsgeschichten, Teil 1
Ich nehme man, Sie kennen mich nicht. Woher sollten Sie auch. Ich bezweifle stark, dass Sie mich jemals gesehen haben, sogar, dass Sie mich je sehen werden. Denn wenn ich bedenke, wo ich herkomme...
Aber wo bleiben meine Manieren? Ich sollte mich wohl ersteinmal vorstellen. Mein Name ist Lasse. Und ja, es ist ein ziemlich blöder Name. Ich habe keine Ahnung, was meine Eltern sich dabei gedacht haben. Also sparen Sie sich bitte die Witze. Ich kenne sie alle. Oder zumindest fast alle. Und auch wenn ich gestehen muss, dass ein paar wirklich gut waren, so waren die meisten doch einfach nur dämlich. Dumm nur, dass es immer die sind, die man zu häufig hört. Manchmal wünsche ich mir wirklich einen etwas „normaleren“ Vornamen. Irgendwas wie Robert oder von mir aus auch Kevin, wenns denn sein muss. Zugegebenermaßen sind diese Namen etwa so kreativ wie ein „Müller“ als Nachname, aber vielleicht erspart einem sowas dumme Sprüche.

Sollten Sie jetzt, wohl vollkommen zurecht, denken: „was will dieser Idiot eigentlich, warum erzählt der soviel sinnlosen Zeug?“, sind Sie wahrscheinlich nicht allein mit dieser Meinung. Nun, ich möchte nichts anderes als Ihnen eine kleine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die in etwa so alltaglich wie unspektakulär ist. Für Unbeteiligte wird es im ersten Moment aufgrund der Normalität, der Tatsache, dass sich diese Geschichte tausende Male jeden Tag wiederholen könnte und es wahrscheinlich sogar tut, stinklangweilig wirken. Es ist eine Geschichte, wie sie wohl dutzende Male erzählt wurde. Und dennoch werde ich sie Ihnen erzählen. Sie fragen warum? Weil ich glaube, dass jeder, der so etwas einmal, ein einziges Mal erlebt hat, jeder, der so ein kleines Alltagsmärchen kennt, für einen kurzen Moment an seine eigene Geschichte denken wird. Weil diejenigen, die so etwas nicht kennen, vielleicht dazu getrieben werden, eine eigene kleine Alltagsgeschichte zu erleben.

Doch ganz egal, wie das, was jetzt folgt auf Sie wirken mag, ganz egal, ob folgende Geschichte jemanden interessiert oder nicht: erzählt werden sollte sie allemal. Weil jeder seine eigene kleine Story hat, und jede ist es wert, erzählt zu werden. Denn ganz egal, wie unbedeutend sie anderen erscheint, wichtig ist nur, was man selbst draus macht.
Die kleine Geschichte, die ich Ihnen erzählen möchte, handelt von einem Jungen namens Ralph. Alles beginnt an einem wunderschönen Sommertag. Unser „Held“ ist mit ein paar Freunden auf einem Open-Air-Konzert.

„So Leute, ab zur Bühne! Plätze sichern!!!“

Ralph war total euphorisch. Was für ein toller Tag, was für ein Wetter. Die Sonne strahlte zum ersten Mal seit Tagen. Es war heiß, eine leichte Briese wehte über das Gelände und überall waren Menschen in freudiger Erwartung auf ein tolles Konzert. Nur Ralphs Freunde schienen nicht ganz so begeistert.
„Hey, mach mal ganz ruhig Ralph. Wir haben hier einen wunderbar bequemen Platz auf einer wunderbaren Bank. Vor uns stehet ein Tisch mit unseren kalten Getränken. Die Band, wegen der wir eigentlich hier sind, spielt eh erst zum Schluss, bis dahin ist noch ewig Zeit. Ausserdem ist da keine Sau vor der Bühne, was willst du da sichern?“
Ralph hasste es, wenn sie das taten. Da saßen sie, seine besten Freunde, mit denen er schon soviel erlebt hatte. Nur was Konzerte betraf, da mussten sie noch viel lernen. So richtig schaffte es Ralph aber nicht, seine Begeisterung auf sie zu übertragen.

„Ihr seit auch ein träger Haufen. Macht was ihr wollt. Geh ich halt allein.“

Wie immer erntete er nur unverständige Blicke und Kopfschütteln. Doch nach all diesen Jahren war Ralph es gewohnt, dass seine Aktionen so aufgenommen wurden. Es war ihm egal. Er war halt etwas überdrehter als der Rest, wenn es um Musik ging. Auf einem Konzert rumsitzen? Höchsten zum verschnaufen. Wenn überhaupt. Aber als Hauptbeschäftigung? Pah! Da könnte man ja gleich ne CD auflegen. Auf solchen Veranstaltungen gibt es so viel besseres zu tun als rumzusitzen.

Ralph zog los und erkundete das Gelände. Es war eigentlich alles wie immer: Bierzelt hier, Bratwurststand da, der mobile Bierwagen da, wieder irgendwas mit Essen, ein Paar Sanitäter und der obligatorische Verkaufsstand der Bands. Viel spannender für Ralph war aber etwas anderes. Denn auf solchen Events kam er nicht daran vorbei, seine kleine Psycho-Studie durchzuführen. Es war zwar nicht wirklich eine Studie, aber es war mit das spannenste, was man auf Konzerten tun konnte: der T-Shirt-Check.

Welche coolen Motive, welche dummen Sprüche und vor allem welche Band-Shirts würden ihm heute begegnen? Ralph hatte inzwischen bestimmte Muster ausmachen können. Er könnte relativ genau vorraussagen, welche Shirts er auf welchen Konzerten sehen würde. Und anhand der Mode konnte man auch erkennen, wie die Bands klingen würden, die auftraten.

Heute waren neben den üblichen Verdächtigen wie „Nirvana“, den „Ramones“ oder auch den „Ärzten“ auch ein paar Raritäten. „Muse“ sah man nicht so häufig. Und „Hot Hot Heat“ waren auch nicht gerade Standartware. Zu seiner Überraschung sah Ralph sogar jemanden mit dem gleichen „Tomte“ Shirt, dass er trug. Es waren diese Kleinigkeiten, die Ralph ein Lächeln auf das Gesicht zaubern konnten. Bandshirts waren für ihn nicht einfach nur Kleidungsstücke, sie waren eine Art Statement. Aber vor allem waren sie eine wunderbare Art, zu selektieren. Man konnte erkennen, wer wie tickte. Und man konnte anzeigen, wie man selbst tickte. Bei den unpassensten Gelegenheiten trug Ralph Shirts von Bands. Denn eins war ihm klar: diejenigen, die es lasen hatten 2 Möglichkeiten: fragen, was es bedeutet, wenn da „Tomte“ auf der Brust prankt und dann ein Gespräch beginnen (die Guten), oder es einfach blöd finden und schweigen (die Bösen). Kenner der entsprechenden Band wurden automatisch zu Guten, zumal diese Leute sowieso schnell ein Gespräch begannen.

Auf diese Art und Weise bekam Ralphs Studie eine ungeheure soziale Komponente. Potenzielle Gesprächspartner konnten leichter identifiziert werden, ohne das man ein Wort sagen musste. Manchmal fragte er sich, ob er der Einzige war, der solche Ideen hatte, oder ob es doch mehr Leute gab, die auf solche Sachen wie T-Shirts achteten und daraus auf die Menschen hinter dem Stoff schlossen. Immernoch in seinen Gedanken vertieft lief er über das Gelände und musste unwillkürlich lachen, als er ein „Kettcar“-Shirt erblickte. Er wollte sich den Träger gerade genauer betrachten, als er plötzlich mit jemandem zusammenstieß.

„Oh, sorry. Ich hab wohl geträumt. Alles OK bei dir?“

Ralph hatte die Worte gesagt, bevor er bemerkte, mit wem er da kollidiert war. Vor ihm stand ein unverschämt gutaussehendes Mädchen und lächelte ihn mit dem sympatischten Lächeln an, dass er jemals gesehen hatte. Für einen Moment vergaß er alles um sich herum. Seine Studie, die Stände, die anderen Leute, er vergaß sogar den Mund zu schließen. Ihm wurde klar, wie dämlich er gerade schauen musste und er versuchte zu lächeln. Er bemerkte ihr „Madsen“-Shirt. Eins war mal klar: Sie war eine von den Guten. Da gab es nicht den geringsten Zweifel.

„Alles Bestens. Kein Problem. Und hey, schickes Shirt. Tomte sind klasse.“

Wieder lächelte sie, doch bevor Ralph noch etwas sagen konnte ging sie weiter. Er sah ihr nach und für einen kurzen Moment wollte er ihr nachgehen, sie ansprechen, irgendetwas sagen, und noch einmacl dieses Lächeln sehen. Doch ohne zu wissen warum, schlug er es sich aus dem Kopf.

„Hab ich dich endlich gefunden. Dachte du wolltest zur Bühne?“
Hinter Ralph stand Brian und grinste ihn an.

„Dachte, du willst nicht die ganze Zeit alleine hier rumlaufen, und mir ging das sitzen auf'n Keks.“

Ralph freute es riesig, dass wenigstens auf einen seiner Freunde verlass war. In diesem Moment war es ihm sogar egal, ob Brian genauso gerne wie er selbst zur Bühne wollte um die Musik zu genießen oder ob er nur hier war, weil er nicht wollte, dass Ralph alleine war. Entscheidend war, das Brian da war. Auf ihn war irgendwie immer Verlass. Beide machten sich auf den Weg in Richtung Bühne, in freudiger Erwartung auf ein tolles Konzert.


Und hier endet auch schon der erste Teil meiner kleinen Geschichte. Habe ich zu viel versprochen? Alltäglich, nichts besonderes. Tausendmal erzählt, wahrscheinlich wurde eine so unspektakuläre Geschichte sogar schon tausende Male spannender erzählt. Also was soll das Ganze? Mh, gute Frage. Ich wette Sie hatten, trotz meiner Warnung, etwas größeres erwartet. Oder irgendetwas spannendes. Ein Gespräch zwischen Ralph und dem Mädchen, wenigstens ein paar mehr gewechselte Worte. Oder zumindest ihren Namen. Doch ich muss Sie enttäuschen: da war nicht mehr. Ralph sah sie an diesem Abend nicht wieder. Gespräche fallen also flach. Auch erzählte Ralph nichts von dem Mädchen. Nicht einmal Brian, der, wenn er ein paar Sekunen früher gekommen wäre, das Mädchen auch gesehen hätte. Ich kann sogar soweit gehen und Ihnen erzählen, das Ralph sich am nächsten Morgen nicht mehr an sie erinnern konnte. Er hatte sie, um erhlich zu sein, nach ein paar Minuten vergessen. Wie häufig kam es vor, dass man auf Konzerten mit anderen zusammenstieß? Zu häufig. Sicher, man wird nicht immer so angelächelt, aber trotzdem vergaß er es einfach.

Warum also erzähle ich Ihnen das alles, wenn da nicht der Hauch von einem tieferen Sinn zu sein scheint? Ich wollte Ihnen etwas bewusst machen. Sie wollen wissen was? Ich erzähle es Ihnen. Gleich. Vorher möchte ich Sie etwas fragen. Diese kleine, alltägliche Geschichte, die Ralph erlebt hat, kennen Sie so eine Situation? Oder etwas ähnliches? Ich weiß, dass ich Ihre Antwort nie erfahren werde, aber ich vermute mal, dass Sie mit „ja“ oder wenigstens „na so in der Art“ geantwortet haben. Und? Wie haben Sie in Ihrer Situation reagiert? Haben Sie, wie Ralph, so einen flüchtigen Moment verstreichen lassen, bis Sie nicht einmal mehr wussten, dass er überhaupt da war? Dann geht es Ihnen so wie mir. Ich würde so einen Moment wohl auch verfliegen lassen, ohne groß darüber nachzudenken. Ich würde wahrscheinlich nicht einmal merken, wie besonders solche winzigen Begegnungen sind. Und ich glaube fast, dass ich da nicht der Einzige bin. Deshalb möchte ich Ihnen diese Geschichte erzählen. Nennen Sie es missionarischen Eifer, nennen Sie sinnlose Dickköpfigkeit, aber ich möchte Sie ein wenig sensibilisieren. Ich möchte, dass Sie, wenn Sie einmal in so eine Situation kommen für den Bruchteil einer Sekunde bewusst entscheiden, was sie tun.
Mir ist vollkommen klar, dass ich mit diesen ersten kleinen Teil der Geschichte wohl nicht genug Anreize geschaffen habe, um Ihnen bewusst zu machen, warum Sie nachdenen sollen. Aber Sie vermuten richtig: wo ein erster Teil, da ist zumindest auch ein zweiter Teil. Er spielt zwei Jahre nach dem Open-Air. Nach dem Mädchen mit dem Madsen-Shirt. Sicher ist in diesen 2 Jahren sehr viel passiert, doch das spielt ersteinmal keine Rolle. Wichtig ist der folgende Abend. Ralph, mal wieder mit Brain auf dem Weg zu einem Konzert. Doch Sie wollen nicht alleine dorthin. Zwei Freundinnen von Ralph werden auch da sein. Ausserdem wollten die Mädchen noch eine Freundin mitbringen. Aber lassen sie sich überraschen.


"Wer war heute Abend nochmal da?" Brian war etwas aufgeregt, schließlich kannte er die Mädchen, mit denen Ralph in letzter Zeit öfter unterwegs war noch nicht.
"Hab ich dir doch gesagt. Also, zum hundersten Mal: die beiden heißen Cleo und Sara. Ist doch nicht so schwer. Gibs zu, du bist nervös."
Brian lächelte verlegen, wahrscheinlich hatte Ralph recht.
"Aber mach dir mal keine Sorgen, die sind wirklich cool. Ok, ein bisschen crazy zwar, aber voll in Ordnung. Wirst sie mögen."
Und wenn Ralph das sagte, dann musste es stimmen. Er hatte irgendwie ein Gespür für so etwas. Ein Händchen wenn es darum ging, Leute zu treffen. Die richtigen Leute. Er konnte innerhalb kürzester Zeit Menschen einschätzen, und meist lag er richtig. Es konnten ihm nur wenige etwas vormachen, wenn es darum ging.
"Ahso, eins hab ich vergessen. Sie bringen noch ne Freundin mit. Aber frag mich nich, ich kenn sie auch noch nicht. "
"Nichtmal den Namen?"
"Ne, nichtmal den. Aber wenn sie ne Freundin von den Mädels ist, kann sie eigentlich nur eine von den Guten sein." Ralph dachte nicht nach, als er diese Worte sagte. Ihm war nicht klar, dass er seine Einteilung in die "Guten" und "Bösen", die häufig durch die Interpretation von T-Shirts entstand, nie jemandem erklärt hatte.
"Hä? Eine von den Guten? Was redest du denn?" Brian blickte verwirrt drein, aber irgendwie war er nichts anderes von Ralph gewohnt. Manchmal konnte man ihm einfach schlecht folgen.
"Nicht so wichtig. Jedenfalls glaub ich, dass sie auch in Ordnung ist."
Damit war das Thema abgehakt und sie verbrachten den Rest der Fahrt wie sonst auch. Gespräche über Computerspiele, Fachsimpeleien über Musik und sogar der ein oder andere Kommentar über Frauen, es war alles wie immer. Nur das beide angespannter wirkten als sonst. Schließlich würden sie beide in Kürze neue Leute kennenlernen.

Als sie vor der Halle ankamen dauerte es nicht lange, bis Ralph Cleo und Sara in der Masse von Menschen, die alle in freudiger Erwartung vor dem Eingang standen, entdeckte. Auch sie schienen ihn gesehen zu haben, denn sofort winkten sie ihn rüber und kamen schon in seine Richtung. Brian atmete ein letzten Mal tief ein, als wüsste er nicht genau, was ihn jetzt erwarten würde. Und dann standen sie sich gegenüber. Die zwei Jungs auf der einen Seite, die drei Mädchen auf der anderen. Jetzt erst bemerkte Ralph sie. Die "Freundin", wie Cleo und Sara ihm gesagt hatten. Sie lächelte ihn an, wie er lange nicht mehr angelächelt wurde und für einen Moment wusste er nicht, was er sagen oder tun sollte.
"Hey Ralph, schön dich zu sehen. Wir warten schon ne halbe Ewigkeit."
"Was? Oh, sorry, ich bin zu spät, kam nicht zu Hause los. Und Brian war auch noch nicht ganz fertig, als ich dann bei ihm war."
"Das war natürlich klar, dass du es auf mich schieben musst. Naja, also ok. Wir sind wegen mir zu spät. Ich bin übrigens Brian, bis vor kurzem bester Freund von dem Typen hier." Ralph bemerkte den Seitenhieb nicht einmal, denn er war immernoch von diesem lächeln fasziniert. Seine Gedanken waren irgendwo anders, ohne das er genau wusste, wo. Dieses Lächeln war ihm vertraut, ohne dass er wusste, woher.

"Na endlich lernen wir dich mal kennen. Ralph hat schon ne Menge von dir erzählt. Nicht war Cleo?"
"Ach, hat er das?"
"Jep. Hin und wieder sogar was gutes." Sara grinste Brian an, der im ersten Moment nicht so ganz wusste, wie er mit diesem Kommentar umgehen sollte. Es stimmte: die Mädchen waren etwas crazy, aber sympatisch. Doch was war mit Ralph, er war so verdammt still. Auch der Rest der Gruppe schien es zu bemerken.
"Ahso, und dass hier ist Jem. Ihr kennt euch ja noch gar nicht."
Jem lächelte in die Runde, und Ralph spürte, wie er etwas sagen wollte, doch was? Und dann passierte es. Seine fatale Schwäche. Seine verdammte Studie siegte über ihn, ehe er es bemerkte.
"Cooles Shirt. Olli Schulz ist grandios." Kaum hatte er die Worte gesagt, wollte er sich schlagen, oder einfach nur im Boden versinken. Er fragte sich, wie doof er eigentlich sein könnte. Wieso um alles in der Welt sagt er als erstes etwas über ihr Shirt?
"Oh, danke. Er ist wirklich toll. Aber Tomte sind auch richtig gut." Und wieder lächelte sie ihn an. Ralph konnte seinen Augen und seinen Ohren nicht trauen. Dieses Lächeln, und sie hatte sein Shirt gesehen. Das er so oft trug, dass so viel erlebt, und so viel überlebt hatte. Trotz eines Brandloches trug er es immernoch mit Stolz. Und sie hatte es bemerkt, sie hatte die Band erkannt, und sie lächelte. Er wusste es: sie war eine von den Guten. Ohne Zweifel.
"Na gut, ich denke wir sollten langsam mal rein, Plätze sichern."
"Sara hat Recht, lasst uns gehen."
Brian schloss sich sofort den Mädchen an, während Ralph, immernoch wie in Trance nicht in der Lage war sich zu bewegen, bis Jem plötzlich das Wort ergriff.
"Wir sollten auch gehen, sonst sind die besten Plätze weg."
"Ich.. ja, du hast Recht. Vor die Bühne?"
"Klar, sonst würde ich ja ne CD auflegen."
Bei diesen Worte musste nun auch Ralph lachen. Beide standen sich noch einen kurzen Moment gegenüber und sahen sich in die Augen, ohne etwas zu sagen. Dann gingen sie in die Halle, und insgeheim wusste Ralph, dass der Abend nur gut werden konnte.



So, das wars. Der zweite Teil ist damit auch schon vorbei. Und ja, ich gebe es zu: wieder nicht viel passiert, wieder alltäglich. Sie wollen wissen, was an diesem Abend, was danach passiert ist? Sie warten auf Teil drei? Nun, dann muss ich Sie enttäuschen. Es gibt keinen Teil drei. Zumindest keinen, den ich Ihnen erzählen werde. Denn es spielt keine Rolle, was danach passiert ist. Es geht mir nicht darum, so eine Art Geschichte zu erzählen. Erinnern Sie sich, was ich Ihnen am Anfang gesagt habe? Sie sollen an Ihre eigene Geschichte denken, und später sagte ich Ihnen, dass sie in solchen Momenten bewusst handeln sollen. Erkennen Sie jetzt, was ich bezwecke, bemerken Sie, was das alles soll? Es ist nicht entscheidend, was an diesem Abend passiert. Wichtig ist etwas anderes. Denn Sie und ich wissen etwas, das Ralph und das Mädchen nicht wissen: Sie waren sich schon einmal begegnet. Es war das Mädchen mit dem Madsen-Shirt, dass Ralph an diesem Abend traf. Zwei Jahre, nachdem sie sich das erste Mal gesehen und vergessen hatten. Nur, warum hatten sie sich vergessen? Weil sie nicht miteinander gesprochen hatten, oder weil sie eine Situation nicht richtig bewertet und deshalb vielleicht nicht so gehandelt haben, wie sie hätten handeln sollen? Möglicherweise. Denn eins ist auch klar: an diesem Abend werden sie miteinander reden, einfach "nur", weil sie gemeinsame Freunde haben. Vielleicht werden sie sich verstehen, vielleicht auch nicht. Vielleicht werden Ralph und Jem Freunde, vielleicht mehr, und vielleicht mögen sie sich überhaupt nicht. Aber erkennen Sie jetzt, was das entscheidene ist? All das, was an diesem Abend, ganze zwei Jahre nach dem ersten flüchtigem Treffen, passiert, alles, was danach kommen wird, hätte schon viel früher beginnen können. Zwei Jahre, in denen Ralph und Jem nichts von der Existenz des anderen gewusst haben, hätten für sie möglicherweise anders verlaufen können, wenn sie in einem flüchtigen Moment anders agiert hätten. Ich will nicht beurteilen, ob es besser gewesen wäre, ich will nicht sagen, dass sie falsch gehandelt haben, und ich habe bewusst keinen dritten Teil zu berichten, damit Sie sich selbst ausmalen können, was zwischen den Beiden passieren kann. Und dann entscheiden Sie selbst, ob die zwei Jahre vielleicht nicht besser hätten genutz werden können. Entscheiden Sie, ob der Augenblick, den die beiden bei ihrem ersten Treffen teilten, nicht anders hätte genutzt werden können. Und dann machen Sie sich bewusst, dass Sie schneller als Sie glauben in so eine Sitation kommen können. Denn sie ist alltäglich. Doch wenn es Ihnen jetzt passieren sollte, tun sie mir einen Gefallen: denken Sie an Ralph und Jem, und überlegen Sie, was Sie tun. Denn es sind manchmal nur Sekundenbruchteile, in denen wir uns für etwas entscheiden müssen. Und manchmal entscheiden diese Bruchteile über ganze Jahre.

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