Montag, 25. März 2013
Kleine Alltagsgeschichten, Teil 2
psmerga, 22:59h
Hallo lieber Leser, vielleicht erinnern Sie sich an mich. Ich weiß, es ist lange her, dass ich Ihnen eine Geschichte erzählt habe und vielleicht haben Sie diese auch schon längst wieder vergessen. Daher, und für potenzielle neue Leser: mein Name ist Lasse, und ich erzähle gerne Geschichten. Keine großen, weltbewegenden, sondern kleine Alltagsgeschichten. Dinge, die jeden Tag passieren können. Sollten Sie sich an die letzte Geschichte erinnern und darauf hoffen, etwas mehr über Ralph, unseren „Helden“ vom letzten Mal zu erfahren, so muss ich Sie enttäuschen. Diese Geschichte ist erzählt, und dabei bleibt es. Ich persönlich finde, dass man nicht alles ausreizen muss. Die Tendenzen, immer wieder Fortsetzungen, oder neuerdings diese „Prequels“, zu erzählen finde ich sehr traurig. Meiner Meinung nach verlässt man sich zu sehr darauf, dem Leser, oder bei Filmen dem Zuschauer, einfach immer wieder Bekanntes vorzusetzen und darauf zu hoffen, damit dann wieder Erfolg zu haben. Wirklich Neues wird viel zu selten versucht. Zugegeben: ich möchte damit nicht sagen, dass meine Geschichten wirklich etwas Eigenes erschaffen, aber ich finde einfach, dass es manchmal besser ist, Dinge abzuschließen und etwas Neues zu beginnen.
Deshalb wird die folgende Geschichte die eines anderen jungen Mannes sein. Erneut möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es keine wirklich große Geschichte wird. Aber ich habe mir zu Schulzeiten immer eine Frage gestellt: müssen Geschichten immer eine große Botschaft haben? Immer wieder wird man mit Literatur konfrontiert, und immer wieder wird einem gesagt, dieses oder jenes sei die Intention. Da gibt es hochtragende Vergleiche, kleine Worte werden zu zentralen Botschaften, einfache Sätze werden zu allgemeinen Wahrheiten. Doch ist es wirklich so? Schreiben alle Autoren immer aus diesen Gründen? Ich meine, versucht jeder Musiker etwas Großes zu sagen? Eher nein, manche versuchen einfach nur über die Runden zu kommen. In der Literatur wird das eigentlich nur Autoren der „Trivialliteratur“, wie meine damalige Deutschlehrerin es nannte, vorgeworfen. Ein „ernster“ Schriftteller hat gefälligst eine Botschaft zu vermitteln. Immer. Ehrlich gesagt, ich glaube, manchmal übersteigt die Fantasie des Interpretierenden die des Autors um Längen. Aber ich kann mich auch irren.
Doch ganz unabhängig von wichtigen Botschaften finde ich etwas anderes viel wichtiger: stellen Sie sich einfach mal vor, wie es war, als ihre Eltern Ihnen abends im Bett eine gute Nacht Geschichte erzählt haben. Oder wie Sie einer Person, die Ihnen sehr am Herzen liegt, so eine Geschichte erzählt haben und wie sich das anfühlte. Es war vielleicht eine total improvisierte Sache, vielleicht mit ein paar kurzen Hängern, aber war sie deshalb schlecht? Oder war es nicht vielleicht wunderschön? Und jetzt denken Sie mal an all die Bücher, die sie in Ihrem Leben gelesen haben, und wie wichtig diese Bücher für Sie waren. Legen Sie all diese spannenden, bereichernden, tollen Momente auf eine Seite einer Waage. Und auf die andere Seite legen Sie eine gute Nacht Geschichte, die Ihnen eine Person erzählt hat, die Sie geliebt hat und die Sie geliebt haben, mit all den Emotionen, mit all den Dingen, die Sie dabei gefühlt haben. Und jetzt schauen Sie, zu welcher Seite sich die Waage neigt. Wenn es Ihnen wie mir geht, dann wissen Sie jetzt, dass der vielleicht wichtigste Satz in Goethes Faust nicht mit Gott, dem Teufel oder was auch immer zu tun hat. Für mich ist der wichtigste Satz: „Wenn es dir ernst ist, was zu sagen, ist’s nötig Worten nachzujagen?“.
Es kommt nicht darauf an, die beste Geschichte der Welt zu erzählen, es geht darum, sie mit Leidenschaft zu erzählen. Hemingway hat mal gesagt, dass, wenn der Autor über das, was er schreibt genug weiß, kann er Dinge weglassen, aber der Leser wird wissen, dass sie dazugehören. Und ich glaube das ist es, was diese persönlichen Geschichten am Ende erstrahlen lässt. Man weiß genau, wer da erzählt, und man weiß, was es bedeutet, und genau deshalb ist es so wunderschön und besonders.
Aber ich schweife ab, ich wollte ja auch etwas erzählen. Ich werde wohl kaum so eine Wirkung erzielen können, wie die, die ich Ihnen gerade versuchte zu beschreiben. Aber vielleicht erzählen Sie danach selber mal eine Geschichte. Glauben Sie mir, es gibt jemanden, dem sie viel bedeuten wird. Und wenn sie kurz nachdenken werden Sie wissen, wem Sie diese Geschichte erzählen sollten.
Es war noch dunkel, als sich Jeff an den Strand setzte. Er tat das gerne. Einfach in den Sand setzen und aufs Meer schauen, den Wind genießen, dieses schwache Rauschen, oder wenn es stürmte diese teilweise bedrohlichen Klänge der Wellen, wenn sie auf die Küste trafen. Er hatte einen Thermobecher mit Kaffee dabei. Ihm war es schon passiert, dass er hier am Strand einfach einschlief. Eigentlich nicht besonders schlimm, aber er wurde mal böse von jemandem geweckt. Man dürfe nicht am Strand übernachten, und überhaupt, er solle nicht so viel saufen und gefälligst nach Hause gehen. Er hatte nichts getrunken. Und er hatte nicht am Strand übernachtet. Er versuchte zu erklären, warum er eigentlich hier war, und dass er überhaupt keinen Alkohol dabei hätte. Aber so richtig überzeugend kam er sich selbst nicht vor. Deshalb beugte er mit Koffein vor. Es klappte. Meistens.
Der eigentlich Grund für diese morgendlichen Ausflüge war aber eigentlich ganz simpel: er warte auf den Sonnenaufgang. Viele schwärmten immer von wunderschönen Sonnenuntergängen, Cowboys ritten immer in die Nacht hinein. Ihm war die aufgehende Sonne viel Lieber. Sie war der Start in einen neuen Tag, sie beendete nichts, sie startete etwas. Diese Vorstellung gefiel ihm. Ganz egal, wie ein Tag gelaufen war, ob gut oder schlecht, ob man Dinge falsch gemacht hatte, oder auch gar nichts getan hatte: jeden Morgen ging die Sonne auf und gab eine neue Chance, etwas zu tun. Es war ein tolles Gefühl. Er versank in seinen Gedanken und dachte daran, dass er lange nicht hier war. Schon ein paar Monate musste es her sein, er kam einfach nicht dazu. Früher arbeite er eine Weile bei einer Tankstelle und hatte oft Nachtschichten. Meist passierte nicht wirklich viel. Und es gab eigentlich nur drei Arten von Kunden.
Da waren die Fernfahrer, die immer etwas aßen, einen Kaffee trunken (schwarz und stark) und wenn sie alleine waren wenig redeten. Waren es allerdings mal zwei, dann wurde viel geredet. Meist über Straßen, irgendwelche Routen und die zu hohen Spritpreise. Jeff wunderte sich immer, warum es jedes Mal diese Themen waren. Er wäre nie auf die Idee gekommen, von der Zeit in der Tankstelle zu erzählen. Aber diese Leute reden nur über ihre Arbeit, und das in den kurzen Pausen, in denen sie doch eigentlich abschalten sollten. Viel merkwürdiger fand er es aber, dass sie sich so oft über ihre Arbeit beschwerten, aber trotzdem nur dieses eine Thema hatten. Er wurde gelegentlich in die Gespräche miteinbezogen, und er lernte schnell, sich anzupassen. Selbst wenn es um die Benzinpreise ging, konnte er mitreden, obwohl er auf der gefährlichen Seite der Kasse stand. Dem Staat die Schuld geben, den großen Konzernen, das reichte meist um heil aus der Sache rauszukommen. So oft, wie das Thema hitzig diskutiert wurde wunderte er sich allerdings, warum er noch nie überfallen worden war. In den Medien sah man sowas doch häufig. Aber ihm passierte so etwas nicht. Auch wenn er sich manchmal nach etwas Aufregung sehnte.
Die zweite Art von Kunden waren die Frühaufsteher, die zu unmöglichen Zeiten mit der Arbeit anfangen mussten. Belegtes Brötchen und irgendeins dieser „modernen“ Kaffeegetränke, natürlich to go. Kurzer mürrischer Kommentar über das Wetter, und das wars dann auch. Jeff stellte sich diese Menschen in ihren Büros vor, wie sie als erste in die Abteilungen kamen und das Licht anmachten, Kaffee kochten und sich missmutig vor Ihre PC’s setzten. Wie sie viele Stunden mit dem gleichen mürrischen Blick verharren würden um dann mit dem gleichen Gesicht nach Hause zu fahren. Manchmal taten ihm diese Leute leid, er war sich sicher, dass so ein Leben nichts für ihn war.
Die spannendsten Kunden waren allerdings die Jugendlichen, die entweder von einer Party nach Hause kamen oder weil zu Hause der Alkohol ausgegangen war in der Tanke Nachschub holten. Das waren häufig sehr seltsame Gestalten, oft in komischen Kostümen oder mit bescheuerten Hüten auf dem Kopf. Er fragte sich oft, wie armselig eine Party eigentlich sein musste, wenn man um drei oder um vier Uhr morgens zu einer Tankstelle kam um eine überteuerte Flasche Billigwodka zu kaufen. Er verstand so etwas nicht. Aber diese Leute waren nicht ganz so durchschaubar wie die anderen Kunden, da passierte oft etwas unerwartetes, und diese Momente hielten ihn am Ende wach.
Den Job an der Tanke hatte er schon eine Weile nicht mehr, damals war er wenn es passte nach dem Feierabend oft am Strand und schaute sich den Sonnenaufgang an, bevor er nach Hause fuhr. Und heute schaffte er es endlich, sich aufzuraffen, früh aufzustehen und ans Wasser zu fahren. Er sah ein paar Fischer, die mit Ihren kleinen Booten wieder in den Hafen kamen, um ihren Fang zu verarbeiten. Später würde er wieder an ihren kleinen Hütten vorbeigehen müssen, nur dann wären sie erfüllt von Leben. Ihm gefiel das sehr. Obwohl er nicht so viel für Fisch übrig hatte, fand er die Idee, jeden Morgen hier draußen zu sein gar nicht schlecht. Er fragte sich oft, ob diese Fischer beim Sonnenaufgang das gleiche Gefühl hatten wie er, ob sie den Wind, das Rauschen auch so wahrnahmen wie er. Er glaubte nicht wirklich daran. Jeff war neben einer Bäckerei aufgewachsen und auch wenn es jeden Tag nach frischem Brot, nach all diesen Leckereien roch, so wusste er doch, dass es ihm irgendwann gar nicht mehr auffiel. Wenn er heute eine Bäckerei betrat merkte er manchmal noch, wie sich das anfühlte, und wie traurig es war zu erkennen, dass er es irgendwann nicht mehr wahrnahm. Den Fischern ging es wahrscheinlich genauso. Gewohnheit lässt Dinge, die eigentlich groß und schön sind zu Nebensächlichkeiten werden. Leider.
Jeff nahm noch einen kräftigen Schluck aus seinem Becher und er rieb sich die Augen. Er hatte die Zeit ein bisschen falsch eingeschätzt und war eindeutig ein bisschen zu früh an den Strand gefahren. Er wunderte sich, warum er nie jemanden am Strand gesehen hatte, der auch den Sonnenaufgang sehen wollte. Gab es da draußen niemanden, der daran Gefallen fand? Oder waren einfach alle zu faul? Vielleicht schien so etwas Alltägliches wie ein Sonnenaufgang auch viel zu banal, um dafür extra früh aufzustehen. Er überlegte, wann er das letzte Mal in Gesellschaft einen Sonnenaufgang gesehen hatte. Auch das war sehr lange her.
Er war in einem Club und unterhielt sich mit einem Mädchen. Jeff wusste nicht mehr, worüber sie eigentlich redeten, aber irgendwann wurde die Musik so schlecht, dass sie den Club verließen. Auf dem Weg zu ihr nach Hause erzählten sie einfach weiter und als die beiden vor Ihrer Wohnungstür ankamen setzten sie sich auf die kleine Treppe davor. So sehr er es auch versuchte, er konnte sich nur daran erinnern, dass sie einen Hamster hatte und der auf den etwas schrägen Namen Hackfleisch hörte. Aber das Gespräch muss ein Gutes gewesen sein, denn als die Sonne aufging saßen die beiden immernoch auf dieser kleinen Treppe und genossen die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des neuen Tages. Kurz danach verabschiedeten sie sich und Jeff ging nach Hause, der Sonne entgegen. Wäre es ein Film gewesen, es hätte nicht kitschiger sein können. Danach sah er das Mädchen noch ein paar Mal, man grüßte sich, aber so richtig unterhalten hat er sich nie wieder mit ihr. Und auch wenn er nicht wusste, worüber sie eigentlich redeten, so wusste er doch, dass der Abend gut war.
Langsam wurde es heller, und dann war es soweit. Die ersten Sonnenstrahlen schossen über die Wasseroberfläche, wurden reflektiert und verstärkt. Der Ostwind wurde genau jetzt ein bisschen stärker und wehte die salzige Luft an den Strand, während im Hintergrund erhaben die Sonne aufging und alles erhellte. Jeff atmete tief ein, schloss die Augen und wusste, er würde wieder öfter herkommen.
Deshalb wird die folgende Geschichte die eines anderen jungen Mannes sein. Erneut möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es keine wirklich große Geschichte wird. Aber ich habe mir zu Schulzeiten immer eine Frage gestellt: müssen Geschichten immer eine große Botschaft haben? Immer wieder wird man mit Literatur konfrontiert, und immer wieder wird einem gesagt, dieses oder jenes sei die Intention. Da gibt es hochtragende Vergleiche, kleine Worte werden zu zentralen Botschaften, einfache Sätze werden zu allgemeinen Wahrheiten. Doch ist es wirklich so? Schreiben alle Autoren immer aus diesen Gründen? Ich meine, versucht jeder Musiker etwas Großes zu sagen? Eher nein, manche versuchen einfach nur über die Runden zu kommen. In der Literatur wird das eigentlich nur Autoren der „Trivialliteratur“, wie meine damalige Deutschlehrerin es nannte, vorgeworfen. Ein „ernster“ Schriftteller hat gefälligst eine Botschaft zu vermitteln. Immer. Ehrlich gesagt, ich glaube, manchmal übersteigt die Fantasie des Interpretierenden die des Autors um Längen. Aber ich kann mich auch irren.
Doch ganz unabhängig von wichtigen Botschaften finde ich etwas anderes viel wichtiger: stellen Sie sich einfach mal vor, wie es war, als ihre Eltern Ihnen abends im Bett eine gute Nacht Geschichte erzählt haben. Oder wie Sie einer Person, die Ihnen sehr am Herzen liegt, so eine Geschichte erzählt haben und wie sich das anfühlte. Es war vielleicht eine total improvisierte Sache, vielleicht mit ein paar kurzen Hängern, aber war sie deshalb schlecht? Oder war es nicht vielleicht wunderschön? Und jetzt denken Sie mal an all die Bücher, die sie in Ihrem Leben gelesen haben, und wie wichtig diese Bücher für Sie waren. Legen Sie all diese spannenden, bereichernden, tollen Momente auf eine Seite einer Waage. Und auf die andere Seite legen Sie eine gute Nacht Geschichte, die Ihnen eine Person erzählt hat, die Sie geliebt hat und die Sie geliebt haben, mit all den Emotionen, mit all den Dingen, die Sie dabei gefühlt haben. Und jetzt schauen Sie, zu welcher Seite sich die Waage neigt. Wenn es Ihnen wie mir geht, dann wissen Sie jetzt, dass der vielleicht wichtigste Satz in Goethes Faust nicht mit Gott, dem Teufel oder was auch immer zu tun hat. Für mich ist der wichtigste Satz: „Wenn es dir ernst ist, was zu sagen, ist’s nötig Worten nachzujagen?“.
Es kommt nicht darauf an, die beste Geschichte der Welt zu erzählen, es geht darum, sie mit Leidenschaft zu erzählen. Hemingway hat mal gesagt, dass, wenn der Autor über das, was er schreibt genug weiß, kann er Dinge weglassen, aber der Leser wird wissen, dass sie dazugehören. Und ich glaube das ist es, was diese persönlichen Geschichten am Ende erstrahlen lässt. Man weiß genau, wer da erzählt, und man weiß, was es bedeutet, und genau deshalb ist es so wunderschön und besonders.
Aber ich schweife ab, ich wollte ja auch etwas erzählen. Ich werde wohl kaum so eine Wirkung erzielen können, wie die, die ich Ihnen gerade versuchte zu beschreiben. Aber vielleicht erzählen Sie danach selber mal eine Geschichte. Glauben Sie mir, es gibt jemanden, dem sie viel bedeuten wird. Und wenn sie kurz nachdenken werden Sie wissen, wem Sie diese Geschichte erzählen sollten.
Es war noch dunkel, als sich Jeff an den Strand setzte. Er tat das gerne. Einfach in den Sand setzen und aufs Meer schauen, den Wind genießen, dieses schwache Rauschen, oder wenn es stürmte diese teilweise bedrohlichen Klänge der Wellen, wenn sie auf die Küste trafen. Er hatte einen Thermobecher mit Kaffee dabei. Ihm war es schon passiert, dass er hier am Strand einfach einschlief. Eigentlich nicht besonders schlimm, aber er wurde mal böse von jemandem geweckt. Man dürfe nicht am Strand übernachten, und überhaupt, er solle nicht so viel saufen und gefälligst nach Hause gehen. Er hatte nichts getrunken. Und er hatte nicht am Strand übernachtet. Er versuchte zu erklären, warum er eigentlich hier war, und dass er überhaupt keinen Alkohol dabei hätte. Aber so richtig überzeugend kam er sich selbst nicht vor. Deshalb beugte er mit Koffein vor. Es klappte. Meistens.
Der eigentlich Grund für diese morgendlichen Ausflüge war aber eigentlich ganz simpel: er warte auf den Sonnenaufgang. Viele schwärmten immer von wunderschönen Sonnenuntergängen, Cowboys ritten immer in die Nacht hinein. Ihm war die aufgehende Sonne viel Lieber. Sie war der Start in einen neuen Tag, sie beendete nichts, sie startete etwas. Diese Vorstellung gefiel ihm. Ganz egal, wie ein Tag gelaufen war, ob gut oder schlecht, ob man Dinge falsch gemacht hatte, oder auch gar nichts getan hatte: jeden Morgen ging die Sonne auf und gab eine neue Chance, etwas zu tun. Es war ein tolles Gefühl. Er versank in seinen Gedanken und dachte daran, dass er lange nicht hier war. Schon ein paar Monate musste es her sein, er kam einfach nicht dazu. Früher arbeite er eine Weile bei einer Tankstelle und hatte oft Nachtschichten. Meist passierte nicht wirklich viel. Und es gab eigentlich nur drei Arten von Kunden.
Da waren die Fernfahrer, die immer etwas aßen, einen Kaffee trunken (schwarz und stark) und wenn sie alleine waren wenig redeten. Waren es allerdings mal zwei, dann wurde viel geredet. Meist über Straßen, irgendwelche Routen und die zu hohen Spritpreise. Jeff wunderte sich immer, warum es jedes Mal diese Themen waren. Er wäre nie auf die Idee gekommen, von der Zeit in der Tankstelle zu erzählen. Aber diese Leute reden nur über ihre Arbeit, und das in den kurzen Pausen, in denen sie doch eigentlich abschalten sollten. Viel merkwürdiger fand er es aber, dass sie sich so oft über ihre Arbeit beschwerten, aber trotzdem nur dieses eine Thema hatten. Er wurde gelegentlich in die Gespräche miteinbezogen, und er lernte schnell, sich anzupassen. Selbst wenn es um die Benzinpreise ging, konnte er mitreden, obwohl er auf der gefährlichen Seite der Kasse stand. Dem Staat die Schuld geben, den großen Konzernen, das reichte meist um heil aus der Sache rauszukommen. So oft, wie das Thema hitzig diskutiert wurde wunderte er sich allerdings, warum er noch nie überfallen worden war. In den Medien sah man sowas doch häufig. Aber ihm passierte so etwas nicht. Auch wenn er sich manchmal nach etwas Aufregung sehnte.
Die zweite Art von Kunden waren die Frühaufsteher, die zu unmöglichen Zeiten mit der Arbeit anfangen mussten. Belegtes Brötchen und irgendeins dieser „modernen“ Kaffeegetränke, natürlich to go. Kurzer mürrischer Kommentar über das Wetter, und das wars dann auch. Jeff stellte sich diese Menschen in ihren Büros vor, wie sie als erste in die Abteilungen kamen und das Licht anmachten, Kaffee kochten und sich missmutig vor Ihre PC’s setzten. Wie sie viele Stunden mit dem gleichen mürrischen Blick verharren würden um dann mit dem gleichen Gesicht nach Hause zu fahren. Manchmal taten ihm diese Leute leid, er war sich sicher, dass so ein Leben nichts für ihn war.
Die spannendsten Kunden waren allerdings die Jugendlichen, die entweder von einer Party nach Hause kamen oder weil zu Hause der Alkohol ausgegangen war in der Tanke Nachschub holten. Das waren häufig sehr seltsame Gestalten, oft in komischen Kostümen oder mit bescheuerten Hüten auf dem Kopf. Er fragte sich oft, wie armselig eine Party eigentlich sein musste, wenn man um drei oder um vier Uhr morgens zu einer Tankstelle kam um eine überteuerte Flasche Billigwodka zu kaufen. Er verstand so etwas nicht. Aber diese Leute waren nicht ganz so durchschaubar wie die anderen Kunden, da passierte oft etwas unerwartetes, und diese Momente hielten ihn am Ende wach.
Den Job an der Tanke hatte er schon eine Weile nicht mehr, damals war er wenn es passte nach dem Feierabend oft am Strand und schaute sich den Sonnenaufgang an, bevor er nach Hause fuhr. Und heute schaffte er es endlich, sich aufzuraffen, früh aufzustehen und ans Wasser zu fahren. Er sah ein paar Fischer, die mit Ihren kleinen Booten wieder in den Hafen kamen, um ihren Fang zu verarbeiten. Später würde er wieder an ihren kleinen Hütten vorbeigehen müssen, nur dann wären sie erfüllt von Leben. Ihm gefiel das sehr. Obwohl er nicht so viel für Fisch übrig hatte, fand er die Idee, jeden Morgen hier draußen zu sein gar nicht schlecht. Er fragte sich oft, ob diese Fischer beim Sonnenaufgang das gleiche Gefühl hatten wie er, ob sie den Wind, das Rauschen auch so wahrnahmen wie er. Er glaubte nicht wirklich daran. Jeff war neben einer Bäckerei aufgewachsen und auch wenn es jeden Tag nach frischem Brot, nach all diesen Leckereien roch, so wusste er doch, dass es ihm irgendwann gar nicht mehr auffiel. Wenn er heute eine Bäckerei betrat merkte er manchmal noch, wie sich das anfühlte, und wie traurig es war zu erkennen, dass er es irgendwann nicht mehr wahrnahm. Den Fischern ging es wahrscheinlich genauso. Gewohnheit lässt Dinge, die eigentlich groß und schön sind zu Nebensächlichkeiten werden. Leider.
Jeff nahm noch einen kräftigen Schluck aus seinem Becher und er rieb sich die Augen. Er hatte die Zeit ein bisschen falsch eingeschätzt und war eindeutig ein bisschen zu früh an den Strand gefahren. Er wunderte sich, warum er nie jemanden am Strand gesehen hatte, der auch den Sonnenaufgang sehen wollte. Gab es da draußen niemanden, der daran Gefallen fand? Oder waren einfach alle zu faul? Vielleicht schien so etwas Alltägliches wie ein Sonnenaufgang auch viel zu banal, um dafür extra früh aufzustehen. Er überlegte, wann er das letzte Mal in Gesellschaft einen Sonnenaufgang gesehen hatte. Auch das war sehr lange her.
Er war in einem Club und unterhielt sich mit einem Mädchen. Jeff wusste nicht mehr, worüber sie eigentlich redeten, aber irgendwann wurde die Musik so schlecht, dass sie den Club verließen. Auf dem Weg zu ihr nach Hause erzählten sie einfach weiter und als die beiden vor Ihrer Wohnungstür ankamen setzten sie sich auf die kleine Treppe davor. So sehr er es auch versuchte, er konnte sich nur daran erinnern, dass sie einen Hamster hatte und der auf den etwas schrägen Namen Hackfleisch hörte. Aber das Gespräch muss ein Gutes gewesen sein, denn als die Sonne aufging saßen die beiden immernoch auf dieser kleinen Treppe und genossen die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des neuen Tages. Kurz danach verabschiedeten sie sich und Jeff ging nach Hause, der Sonne entgegen. Wäre es ein Film gewesen, es hätte nicht kitschiger sein können. Danach sah er das Mädchen noch ein paar Mal, man grüßte sich, aber so richtig unterhalten hat er sich nie wieder mit ihr. Und auch wenn er nicht wusste, worüber sie eigentlich redeten, so wusste er doch, dass der Abend gut war.
Langsam wurde es heller, und dann war es soweit. Die ersten Sonnenstrahlen schossen über die Wasseroberfläche, wurden reflektiert und verstärkt. Der Ostwind wurde genau jetzt ein bisschen stärker und wehte die salzige Luft an den Strand, während im Hintergrund erhaben die Sonne aufging und alles erhellte. Jeff atmete tief ein, schloss die Augen und wusste, er würde wieder öfter herkommen.
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