Samstag, 11. Mai 2013
Kleine Alltagsgeschichten, Teil 6
psmerga, 22:44h
Draußen fielen die ersten Schneeflocken des Jahres. Dabei war es gerade mal Ende November. Der Winter war dieses Jahr ziemlich früh dran, selbst die Bäume waren fast schon alle kahl, das Laub längst aus den Straßen aufgekehrt und die typische Weihnachtsdeko, Sterne, Tannenbäume und diese kleinen Holzhütten waren überall zu sehen. Der kalte Wind biss auf der Haut des alten Mannes, als er von seinem kleinen Einkauf zurückkam. Ein bisschen Brot, Milch, zwei Scheiben Wurst und ein leuchtend roter Apfel. Er liebte es kurz bevor die Geschäfte schlossen nochmal durch die Läden zu wandern. Die ganze Hektik war dann verschwunden, die Menschen irgendwie entspannter.
Als er ausgekühlt in seiner kleinen Wohnung ankam kochte er sich erst einmal einen Tee und legte eine Platte auf, um die Stille fortzujagen. Er setzte sich mit dem Tee auf sein Sofa und beobachte das Schauspiel vor seinem Fenster. Der Wind ließ die Flocken immer wieder aufsteigen, wirbelte sie durcheinander und das Ganze sah aus wie ein wunderschöner Tanz, einen, den er so lange nicht mehr gesehen hatte, aber irgendwie kroch eine Erinnerung in ihm hoch. Sein Blick wanderte auf ein altes Fotoalbum, eines von vielen. Aber dieses eine hatte seine ganze Aufmerksamkeit. Er ging zu seinem Regal und als er das Album in die Hand nahm bemerkte er zuerst die Staubsicht, die sich über die Jahre angesammelt hatte. Scheinbar hatte er es sehr lange nicht angesehen, aber irgendetwas in ihm sagte, dass er es jetzt tun sollte. Die Bilder weckten alte Erinnerungen, beinahe vergessen. Bilder aus der Zeit seiner Ausbildung, seines Studiums. Und dann wusste er, warum er dieses Album gegriffen hatte.
Ein altes Foto von einem verregneten Morgen. Eine Frau, die im Regen tanzt, mit einem unwiderstehlichen Lächeln, und im Hintergrund erzeugten die ersten Sonnenstrahlen des Tages einen kleinen Regenbogen. Er erinnerte sich, die beiden hatten den Tag zusammen verbracht, waren die ganze Nacht durch eine fremde Stadt gewandert und als die Sonne aufging fing es an zu regnen. Und sie begann zu tanzen. Einfach so, barfuß, in ihrem Sommerkleid. Er wollte mittanzen, aber er fühlte sich zu ungeschickt dafür. Stattdessen nahm er die Kamera, machte dieses eine Foto. Es war perfekt.
Das Ganze war inzwischen bestimmt über 30 Jahre her. Und ungefähr so lange hatte er sie auch nicht mehr gesehen. Überhaupt hatte er viele Menschen aus seiner Jugend seit Jahren nicht gesehen. Gute Freunde, Kollegen, Freundinnen. Oft hatten sich die Wege getrennt, aus allen möglichen und unmöglichen Gründen. Mal war es die Distanz, mal andere Vorstellungen, andere Ziele. Und manchmal war es einfach das Leben, das andere Pläne gemacht hatte. Er musste schmunzeln, als er daran dachte, wie er immer wieder diese Sätze hörte: „Du findest auch noch die Richtige, du bist doch jung. Du bist was Besonderes, das wird schon jemand merken.“ All dieses Zeug, das Freunde mit Beziehungen Freunden ohne Beziehungen erzählen. Aber selbst diese Sätze waren lange her. Scheinbar hatten seine Freunde es aufgegeben. Manchmal schien es ihm, als würden sie Mitleid mit ihm haben, weil er alleine war. Vielleicht schämten sie sich auch, weil sie glaubten, Unrecht gehabt zu haben. Stattdessen sahen sie ihn häufig mit diesen mitleidigen Blicken an, diese „Es hat nicht so sein sollen“ Blicke, die der inneren Überzeugung geschuldet sind, dass der eigene Lebensentwurf mit Familie, kleinem Haus und Kombi ein Allgemeingut ist, und wer es nicht hat muss ja was falsch gemacht haben.
Aber er hatte nichts falsch gemacht. Er hatte geliebt, und er wurde geliebt. Er hatte sie erlebt, die Art von Liebe, die einem das Gefühl gibt unsterblich und unbesiegbar zu sein. Die Art von Liebe, die einen zerfetzt und zerstört. Die Art von Liebe, die Opfer verlangt, aber auch die bedingungslose Liebe, die ihm entgegengebracht wurde. All diese Klischees aus Filmen, aus Songs, aus Büchern, er kannte sie alle. War daran etwas falsch? Alle stellen immer diese eine Frage: „Wirst du mich auch morgen noch lieben?“ Er konnte nur darüber lächeln. Manchmal ist es viel komplizierter. Liebe garantiert keine Beziehung, davon war er überzeugt. Ihm war etwas anderes viel wichtiger. Wenn man jemanden liebt, dann muss man diesen Moment festhalten und konservieren. Man muss sich daran erinnern, wie sehr man die Person in einem bestimmten Moment geliebt hat. Denn selbst wenn das Leben dann andere Pläne hat, die Wege sich trennen, dann bleibt dieser Gedanke im Hinterkopf. Und wenn man sich dann nach Jahren wiedersieht, man hat sich komplett in andere Richtungen entwickelt, scheinbar hat man nichts mehr gemeinsam, dann ist da trotzdem dieses Wissen. Dass irgendwo in dieser scheinbar anderen Person irgendwo der Mensch ist, den man in einem bestimmten Moment von ganzem Herzen geliebt hat.
Er blätterte noch ein bisschen durch die alten Fotos, und irgendwie erschien es ihm seltsam. Zuerst hatte er da Gefühl, dass er all diese Menschen seit damals nicht gesehen hatte. Aber das stimmte nicht. Dieser Spruch, dass man sich immer zweimal im Leben sieht, vielleicht war das doch was dran. Manchmal liegen dazwischen nur Wochen, manchmal viele Jahre. Aber es war wirklich so: man sah sich zweimal. Mindestens. Er dachte darüber nach. Vielleicht waren Menschen wie Kometen, die scheinbar ziellos durchs All fliegen. Man kommt immer wieder an anderen vorbei, manchmal gibt es Zusammenstöße, manchmal fliegt man eine Weile zusammen und manchmal fliegt man so knapp an einem anderen vorbei, das man ins Trudeln gerät, dass man aus der Bahn geworfen wird. Manche sieht man danach nur in großer Distanz mal wieder, vielleicht nur ein einziges Mal. Aber es gibt auch diese besonderen Exemplare, die scheinbar dazu verurteilt sind sich in unregelmäßigen Abständen zu begegnen. Mal fliegen sie dichter aneinander vorbei, manchmal in größerer Distanz. Aber immer wird man angezogen und umhergeschleudert, nur um danach unkoordiniert weiterzufliegen, in dem Wissen, dass es irgendwann wieder genau dazu kommen wird. Er kannte so etwas sehr gut.
Die Nadel des Plattenspielers hob sich und es herrschte wieder Stille in der Wohnung. Er schlug das Album zu, mit einem Lächeln auf den Lippen. Er wusste, er flog vielleicht ziellos durchs All, aber er flog noch, und da draußen waren viele Kometen, die er kannte, und noch so viele mehr.
Als er ausgekühlt in seiner kleinen Wohnung ankam kochte er sich erst einmal einen Tee und legte eine Platte auf, um die Stille fortzujagen. Er setzte sich mit dem Tee auf sein Sofa und beobachte das Schauspiel vor seinem Fenster. Der Wind ließ die Flocken immer wieder aufsteigen, wirbelte sie durcheinander und das Ganze sah aus wie ein wunderschöner Tanz, einen, den er so lange nicht mehr gesehen hatte, aber irgendwie kroch eine Erinnerung in ihm hoch. Sein Blick wanderte auf ein altes Fotoalbum, eines von vielen. Aber dieses eine hatte seine ganze Aufmerksamkeit. Er ging zu seinem Regal und als er das Album in die Hand nahm bemerkte er zuerst die Staubsicht, die sich über die Jahre angesammelt hatte. Scheinbar hatte er es sehr lange nicht angesehen, aber irgendetwas in ihm sagte, dass er es jetzt tun sollte. Die Bilder weckten alte Erinnerungen, beinahe vergessen. Bilder aus der Zeit seiner Ausbildung, seines Studiums. Und dann wusste er, warum er dieses Album gegriffen hatte.
Ein altes Foto von einem verregneten Morgen. Eine Frau, die im Regen tanzt, mit einem unwiderstehlichen Lächeln, und im Hintergrund erzeugten die ersten Sonnenstrahlen des Tages einen kleinen Regenbogen. Er erinnerte sich, die beiden hatten den Tag zusammen verbracht, waren die ganze Nacht durch eine fremde Stadt gewandert und als die Sonne aufging fing es an zu regnen. Und sie begann zu tanzen. Einfach so, barfuß, in ihrem Sommerkleid. Er wollte mittanzen, aber er fühlte sich zu ungeschickt dafür. Stattdessen nahm er die Kamera, machte dieses eine Foto. Es war perfekt.
Das Ganze war inzwischen bestimmt über 30 Jahre her. Und ungefähr so lange hatte er sie auch nicht mehr gesehen. Überhaupt hatte er viele Menschen aus seiner Jugend seit Jahren nicht gesehen. Gute Freunde, Kollegen, Freundinnen. Oft hatten sich die Wege getrennt, aus allen möglichen und unmöglichen Gründen. Mal war es die Distanz, mal andere Vorstellungen, andere Ziele. Und manchmal war es einfach das Leben, das andere Pläne gemacht hatte. Er musste schmunzeln, als er daran dachte, wie er immer wieder diese Sätze hörte: „Du findest auch noch die Richtige, du bist doch jung. Du bist was Besonderes, das wird schon jemand merken.“ All dieses Zeug, das Freunde mit Beziehungen Freunden ohne Beziehungen erzählen. Aber selbst diese Sätze waren lange her. Scheinbar hatten seine Freunde es aufgegeben. Manchmal schien es ihm, als würden sie Mitleid mit ihm haben, weil er alleine war. Vielleicht schämten sie sich auch, weil sie glaubten, Unrecht gehabt zu haben. Stattdessen sahen sie ihn häufig mit diesen mitleidigen Blicken an, diese „Es hat nicht so sein sollen“ Blicke, die der inneren Überzeugung geschuldet sind, dass der eigene Lebensentwurf mit Familie, kleinem Haus und Kombi ein Allgemeingut ist, und wer es nicht hat muss ja was falsch gemacht haben.
Aber er hatte nichts falsch gemacht. Er hatte geliebt, und er wurde geliebt. Er hatte sie erlebt, die Art von Liebe, die einem das Gefühl gibt unsterblich und unbesiegbar zu sein. Die Art von Liebe, die einen zerfetzt und zerstört. Die Art von Liebe, die Opfer verlangt, aber auch die bedingungslose Liebe, die ihm entgegengebracht wurde. All diese Klischees aus Filmen, aus Songs, aus Büchern, er kannte sie alle. War daran etwas falsch? Alle stellen immer diese eine Frage: „Wirst du mich auch morgen noch lieben?“ Er konnte nur darüber lächeln. Manchmal ist es viel komplizierter. Liebe garantiert keine Beziehung, davon war er überzeugt. Ihm war etwas anderes viel wichtiger. Wenn man jemanden liebt, dann muss man diesen Moment festhalten und konservieren. Man muss sich daran erinnern, wie sehr man die Person in einem bestimmten Moment geliebt hat. Denn selbst wenn das Leben dann andere Pläne hat, die Wege sich trennen, dann bleibt dieser Gedanke im Hinterkopf. Und wenn man sich dann nach Jahren wiedersieht, man hat sich komplett in andere Richtungen entwickelt, scheinbar hat man nichts mehr gemeinsam, dann ist da trotzdem dieses Wissen. Dass irgendwo in dieser scheinbar anderen Person irgendwo der Mensch ist, den man in einem bestimmten Moment von ganzem Herzen geliebt hat.
Er blätterte noch ein bisschen durch die alten Fotos, und irgendwie erschien es ihm seltsam. Zuerst hatte er da Gefühl, dass er all diese Menschen seit damals nicht gesehen hatte. Aber das stimmte nicht. Dieser Spruch, dass man sich immer zweimal im Leben sieht, vielleicht war das doch was dran. Manchmal liegen dazwischen nur Wochen, manchmal viele Jahre. Aber es war wirklich so: man sah sich zweimal. Mindestens. Er dachte darüber nach. Vielleicht waren Menschen wie Kometen, die scheinbar ziellos durchs All fliegen. Man kommt immer wieder an anderen vorbei, manchmal gibt es Zusammenstöße, manchmal fliegt man eine Weile zusammen und manchmal fliegt man so knapp an einem anderen vorbei, das man ins Trudeln gerät, dass man aus der Bahn geworfen wird. Manche sieht man danach nur in großer Distanz mal wieder, vielleicht nur ein einziges Mal. Aber es gibt auch diese besonderen Exemplare, die scheinbar dazu verurteilt sind sich in unregelmäßigen Abständen zu begegnen. Mal fliegen sie dichter aneinander vorbei, manchmal in größerer Distanz. Aber immer wird man angezogen und umhergeschleudert, nur um danach unkoordiniert weiterzufliegen, in dem Wissen, dass es irgendwann wieder genau dazu kommen wird. Er kannte so etwas sehr gut.
Die Nadel des Plattenspielers hob sich und es herrschte wieder Stille in der Wohnung. Er schlug das Album zu, mit einem Lächeln auf den Lippen. Er wusste, er flog vielleicht ziellos durchs All, aber er flog noch, und da draußen waren viele Kometen, die er kannte, und noch so viele mehr.
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