Donnerstag, 12. Juli 2018
Umwegsrhetorik
Der nun folgende Text ist ein Auszug aus dem noch nicht erschienenen Ratgeber "Umwegsrhetorik - Mehr Worte, mehr Wucht".
Ziel des Ratgebers ist es, den unzähgligen Momenten des peinlichen Schweigens, der Phrasendrescherei und der Tendenz in Gesprächen kurz zu antworten, um wieder auf das Mobiltelefon zu schauen den Kampf anzusagen.
Nachdem in den vorangegangenen Kapieteln die Grundlagen dieses rhetorischen Trainings vermittelt wurden, widmet sich dieses Kapitel einem ganz besonderen Thema...


Kapitel 7

Liebe

„Liebe ist… zuhören.“
„Liebe ist… Händchen halten.“
„Liebe ist… füreinander da sein.“

Wenn es nach den kleinen Comic-Strips auf der letzten Seite einer großen deutschen Boulevard-Zeitung geht ist Liebe vor allem eines: eine ziemlich leichte Angelegenheit, die mit ein paar einfach zu befolgenden Ratschlägen erklärt und demnach erreicht werden kann. Das dem nicht so ist, wird wohl jeder aus eigener Erfahrung berichten können. Liebe ist zu komplex, um sie auf kurze Botschaften oder Anweisungen zu reduzieren. Die Illusion, die in einer Partnerschaft (oder im Zeitraum davor) auftreten Probleme und Unsicherheiten ließen sich quasi im Handumdrehen, bzw. „händchenhaltend“ lösen, klingt zwar verlockend, ist aber eben genau das: eine Illusion. Es gibt unzählige Situationen, die es erforderlich machen, sich Zeit zu nehmen und Liebe als das zu begreifen, was sie ist: wunderschön, aber eben auch sehr viel Arbeit.

Gerade deswegen kann es hilfreich sein, eben nicht den Weg der kurzen Antwort zu gehen. Ja, durch Umwegs-Rhetorik können nicht nur kritische Situationen umschifft, sondern auch große Momente erzeugt werden. Versetzen wir uns dazu in folgende Situation.

Zwei Menschen, die sich bereits näher kennengelernt haben sind bei einem romantischen Abendessen. Kerzen brennen, der Wein ist perfekt auf das köstliche Menü abgestimmt, man lacht, versteht sich und jeder Außenstehende kann das knistern zwischen den beiden spüren. Ja, aus diesen beiden Menschen kann ein Paar werden. Aber, wie das manchmal so ist, keiner von beiden traut sich die entscheidende Frage zu stellen. Also versucht einer es über einen Umweg und erzählt vom ersten Abend. Diese Nacht im Club, das Treffen der Blicke, das gemeinsame Tanzen, und wie der Abend nach einem Wasserpistolenduell im städtischen Springbrunnen endete. Durchnässt, Arm in Arm, während die Sonne aufging, und sich beide das erste Mal küssten. Wieder lächeln. Und dann die Frage, die alles entscheiden kann.

„Seit diesem Abend frage ich mich… Glaubst du an Liebe, auf den ersten Blick?“

ACHTUNG!

In so einer Situation, nach so einer Vorbereitung wäre eine vorschnelle und zu kurze Antwort nie gut genug. Ein einfaches „Ja“ ist nach so einer Schilderung in jedem Fall zu wenig, egal wie ernst es gemeint sein mag. Von der Variante „Seit diesem Abend: Ja!“ verabschieden wir uns auch schnell, zu viel Kitsch, zu viel Spielraum für Zweifel und Nachfragen. Nutzen Sie das, was Sie in den letzten Kapiteln gelernt haben: Mehr Worte, mehr Wucht. Ein Beispiel für so eine Antwort:

Sie sehen ihrem gegenüber in die Augen, lehnen sich zurück, und breiten folgenden Monolog aus.

„Also, ich denke, wenn wir jemandem das erste Mal begegnen, dann malen wir uns aus, wie diese Person ist, und daraus entsteht ein Bild. Wir nehmen all die Farben, Formen und Techniken, die wir über unser ganzes Leben gesammelt und erlernt haben, und entwerfen dieses Bild, um es in unserer Galeria da oben im Kopf zu platzieren. Dort sind all die Portraits der Menschen, die wir getroffen, die uns geprägt haben, mit denen wir alle schönen und traurigen Momente teilten. Die Portraits der Familie sind in einem gemütlichen Kaminzimmer, die Kollegen in größeren Hallen, Chefs vielleicht in Abstellkammern. Die guten Freunde in bunten Räumen, voller Farbe und Licht und ganz viele Bilder sind in dem Archiv, abgelegt für später, wobei einige wohl immer dort bleiben werden. Und dann gibt es diesen einen Raum, nicht besonders groß, mit nur einer Lichtquelle, inmitten der Galerie, aber nicht zugänglich für andere. Denn dort ist das schönste aller Portraits: das Bild der Person, von der wir denken, dass wir sie lieben. Es ist perfekt, und wir wollen es deshalb beschützen.

Aber ich denke, das bedeutet es, verliebt zu sein: ein wunderschönes Bild von jemandem zu haben, das aber nur unserer eigenen Fantasie entspringt. Um daraus Liebe zu machen bedarf es Mut. Den Mut, dieses Traumbild dem anderen zu zeigen, zu sagen „So sehe ich dich, das bedeutest du mir, und deshalb bist du mir so wichtig.“ Natürlich wird der andere schmunzeln, sich vielleicht geehrt fühlen, aber eben auch die Fehler in diesem „perfekten“ Bild erkennen. Er wird sagen „Hey, das ist ja alles sehr süß, aber hier, da hast du die falsche Farbe, und hier musst du über den Rand malen und überhaupt: hier benutzt du nicht die richtige Technik.“ Das Bild wird sich wandeln, mit jeder Änderung, die man dann aber gemeinsam vornimmt. Und während sich das Bild entwickelt, wird man selbst auch reifen, zusammen, mit dem anderen. Neue Farben und Formen und Techniken kommen zum Einsatz, bis das neue Bild, das gemeinsam entstandene Bild „fertig“ gemalt ist, wohl wissend, dass es immer wieder Änderungen geben wird. Doch das Portrait wird erst jetzt perfekt sein, und wir werden es aus diesem kleinen Raum herausnehmen und mitten in die Galerie hängen und sagen „Hier, das Bild, zeigt uns. Das hier, das ist Liebe.“

Warten Sie kurz, lassen Sie die Worte wirken, atmen Sie tief ein, und schließen Sie mit folgendem Satz:
„Ich weiß nicht, ob es Liebe auf den ersten Blick gibt, aber ich weiß eines sicher: ich möchte mit dir malen.“

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